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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Vegetarier, fickt euch! Fleisch ist zum Essen da
© Leonardo Carvalho

Vegetarier, fickt euch!Fleisch ist zum Essen da

Nehmen wir es doch gleich vorweg: Ich verstehe, warum Menschen zu Vegetariern oder gleich Veganern werden. Wirklich. Wenn man erst einmal einem unschuldigen Lamm in die traurigen Augen gesehen hat, kurz bevor es mit seinen kleinen Freunden und dem Rest seiner laut blökenden Familie zur voll automatisierten Schlachtbank geführt und dort vor den weit aufgerissenen Augen seiner Lieben zerfetzt wird, dann denkt man anders über das Stück Fleisch, das da auf dem Teller liegt.

Auch ich habe mehrere Male versucht, mich dem immer größer werdenden Kult der vermeintlich besseren Menschen anzuschließen. Vergeblich. Mit meiner essgestörten Exfreundin futterte ich mich einige Monate lang durch Brokkoli, Nüsse und Hummus, bis ich mich ausgehungert in einen Burger King rettete und dort von einer netten Angestellten mit billigen Tierresten, dicken Pommes und einer Extraportion Mayonnaise aufgepäppelt und zurück in die freie Wildbahn entlassen wurde.

Die Beziehung scheiterte kurz darauf. Jahrelang verwandelte ich mich daraufhin zum temporären Vegetarier, immer dann, wenn ich eines dieser grausamen PETA-Videos aus Schlachthöfen zu Gesicht bekam, in denen frisch geschlüpfte Küken gleich in den Häcksler wanderten, da sie nicht dem erwarteten Geschlecht angehörten. Oder quiekende Schweine mit Schaufeln zu Tode geprügelt wurden – einfach, weil den Mitarbeitern um 3 Uhr morgens langweilig geworden war.

Nein, auch ich als Fleischesser möchte ich dieses perverse System der Massentierhaltung nicht unterstützen. Fleisch ist so billig und verfügbar, aber auch so qualitativ minderwertig, wie nie zuvor. Ein Lebensmittelskandal jagt den anderen. Wer kann da schon noch mit gutem Gewissen in eine Bratwurst oder ein Steak oder einen Döner beißen?

Und trotzdem verzehre ich weiterhin Fleisch. Warum? Weil es mir schmeckt. Und weil mein Körper regelrecht danach schreit, wenn ich es ihm eine Woche lang verwehrt habe. Dann kreisen meine Gedanken nur noch um zerfleischte Tiere, die ganze Kühltheke möchte ich in mich hinein stopfen. Gebraten, gegrillt, gekocht, gebt mir Fleisch, jetzt sofort!

Als ich einen japanischen Freund einmal beim Essen gefragt habe, warum so wenige Japaner Vegetarier sind, antwortete er ruhig: "Weil alles eine Seele hat." Was er damit meinte? Dass es vollkommen egal ist, ob wir nun Fleisch, Fisch oder Salat essen. Jede Mahlzeit bedeutet Leid für andere Lebewesen. Ob sie jetzt lautstark schreien können oder auf eine Art und Weise Schmerzen empfinden, die wir wissenschaftlich oder gesellschaftlich kaum nachvollziehen können.

Nur weil sich einige von euch, warum auch immer, dazu entschieden haben, keine toten Tiere mehr in sich hinein zu drücken, macht euch das noch längst nicht per se zu besseren Menschen. Obwohl ihr das gerne glaubt. Die Zukunft bedeutet nicht etwa absoluter Verzicht, sondern erhöhtes Bewusstsein. Massenhaft Fleisch zu Dumpingpreisen, das muss bald der Vergangenheit angehören. Aber eine ausgewogene Ernährung, mit qualitativ hochwertigen Gütern, das sollte doch zu machen sein.

Ja, ich versuche meinen Fleischkonsum zu reduzieren und mich lieber auf mehr frischen Fisch und knackiges Gemüse zu konzentrieren. Erstens, weil es gesünder ist, und zweitens, weil es tatsächlich besser schmeckt. Ein rohes Stück Lachs mit Sojasauce und Reis, dafür könnte ich immer wieder aufs Neue sterben. Aber auf ein gutes Biosteak oder einen fetten Cheeseburger, vom Lieblingsladen ein paar Straßen weiter, kann und will ich trotzdem nicht verzichten.

Dienstag, der 19. September 2017

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