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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Mr. Long: Der Junge und der Mörder
© Rapid Eye Movies

Mr. LongDer Junge und der Mörder

Mr. Long ist kein Mann der vielen Worte. Genau genommen spricht er fast gar nicht. Seine Fähigkeiten liegen eher im... sagen wir mal... Handwerklichen. Mr. Long ist ein taiwanesischer Auftragsmörder. Einer der guten Sorte, jemand, der keine Fragen stellt, wenn man ihm einen Ort, eine Zeit und ein Opfer nennt. Mr. Long macht dann das, was er eben tun muss. Und er ist ziemlich gut darin. Meistens.

Nachdem sein Auftrag, einen Yakuzaboss zu töten, schrecklich schief läuft, sitzt Mr. Long, gespielt von Chen Chang, in einer abgelegenen japanischen Stadt fest. Da er nur fünf Tage Zeit hat, um das Geld für seine Heimreise zusammenzukratzen, erhält er unerwartet Hilfe von einem kleinen Jungen namens Jun, dargestellt von Junyin Bai, und den ahnungslosen Stadtbewohnern, die sich in seine kulinarischen Talente verliebt haben. Mit einem behelfsmäßigen Essensstand, den seine neuen Freunde aufgebaut haben, beginnt er vor dem örtlichen buddhistischen Tempel taiwanesische Nudelsuppe zu kochen und zu verkaufen.

Das Unglück ereilt die ungewöhnliche Truppe, als ein Drogendealer Juns Mutter Lily, zum Leben erweckt von Yiti Yao, und über sie wiederum Mr. Long aufspürt. Doch trotz der unausweichlichen Konfrontation mit seiner gewalttätigen Vergangenheit wird es Mr. Long schwerfallen, sein neues Leben aufzugeben.

Ein kaltherziger Auftragskiller wird mit altruistischer Liebe überschüttet und gezwungen, sich ihr hinzugeben. Der japanische Regisseur Sabu beherrscht die Kunst, das Normale mit dem Unerwarteten zu vermischen. Auf verschmitzte Art und Weise schickt er seine Protagonisten auf unbekanntes Terrain, das ihren Verstand und ihr Herz erweitern wird. Mr. Long zeigt uns, dass man das Glück an den unwahrscheinlichsten Orten finden kann.

Mr. Long ist Sabus zweiter Berlinale-Wettbewerbsbeitrag nach Chasuke's Journey aus dem Jahr 2015 und ein weiteres filmisches Werk, das seine Finesse zeigt, wenn es darum geht, emotionale Tiefe durch die Mischung verschiedener Genres zu erzeugen. Sabu kennt dabei keine Gnade, geht erzählerische Wege, die sich sonst nur wenige trauen, und biegt die Realität auch gerne mal zu deren und somit seinen Gunsten.

Sabu wurde im Jahr 1964 in Wakayama geboren. Während er Modedesign an einer Hochschule in Osaka studierte, spielte er gleichzeitig auch in einer Punkband. Nach seinem Abschluss zog er nach Tokio, um dort Musiker zu werden, wechselte aber auf Drängen seiner Agentur zur Schauspielerei.

Nach einer Reihe von Vorsprechen gab er 1986 sein Schauspieldebüt in そろばんずく von Yoshimitsu Morita. In Katsuhiro Otomos World Apartment Horror aus dem Jahr 1991 spielte er nicht nur die Hauptrolle in seinem ersten Film, sondern gewann auch den Preis für den besten Newcomer beim 13. Yokohama Film Festival.

Während seiner Schauspielkarriere wurde Sabu allmählich unzufrieden mit dem Inhalt der Low-Budget-Filme, die in Japan produziert wurden, so dass er versuchsweise sein eigenes Drehbuch schrieb, das von einem ihm bekannten Produzenten hoch gelobt wurde, und mit dem er auch sein Regiedebüt geben sollte.

Der erste Film, den er auf diese Weise drehte, Bullet Runner aus dem Jahr 1996, lief in der Sektion Panorama der Berliner Filmfestspiele und gewann den New Director's Award beim 18. Yokohama Film Festival - eine bemerkenswerte Leistung, die den temperamentvollen Filmemacher im In- und Ausland bekannt machte.

Seitdem setzt er seine unermüdliche kreative Arbeit im Bereich des Films fort, wobei er sich auf Unterhaltungsfilme mit eigenwilligen Geschichten und Wendungen konzentriert. Mit Chasuke's Journey aus dem Jahr 2015, für das er im Vorfeld der Verfilmung die Originalgeschichte schrieb, gab er auch sein Debüt als Romanautor.

Der durch seine coole Art so vertrauenswürdig wirkende Mr. Long wird von dem bekannten taiwanesischen Schauspieler Chen Chang gespielt, der für seine Rolle in Wong Kar-wais 2046 und Ang Lees Tiger and Dragon internationale Anerkennung erhielt.

Chen Chang wurde im Jahr 1976 geboren und gab Anfang der Neunziger Jahre sein Schauspieldebüt, als er für die Hauptrolle in Edward Yangs Guling Street Boy Murder Case ausgewählt wurde. Seitdem hat er in einer Reihe von Filmen chinesischsprachiger Meister wie Wong Kar-wai und Hou Hsiao-hsien mitgewirkt und ist zu einem der international anerkannten asiatischen Stars geworden.

Nach seiner Rolle in Green Destiny im Jahr 2000 trat er auch in größeren Filmen auf und spielte Wus König Sun Quan in Red Cliff. 2006 gewann er den Preis für den besten Darsteller in der Kategorie Ausländischer Film beim 3. Osaka Cinema Festival für Wu Qingyuan: The Ultimate Game Record. Im Jahr 2015 gewann er für The Assassin in Black den Preis für den besten Darsteller bei den 68. Internationalen Filmfestspielen von Cannes.

Mr. Long ist schwer einem Genre zuzuordnen. Sabu erschuf mit seinem Werk ein Drama, das durch seine unerwarteten Momente gleichermaßen amüsant, tragisch und schockierend ist, zu Augenblicken, in denen man es ihm nicht zutraut. Wenn man denkt, den Film durchschaut zu haben, wartet hinter der nächsten Ecke entweder ein Clown, eine geschnittene Zwiebel oder ein Messer, das es nicht erwarten kann, endlich wieder zuzustechen.

Man wünscht sich ein Happy End für Mr. Long, Jun und Lily, einen Ort, an dem die drei glücklich sein können und von der gnadenlosen Welt in Ruhe gelassen werden. Doch die Vergangenheit der kleinen Patchworkfamilie holt sie gerade dann ein, wenn man endlich angefangen hat, sich nicht mehr gegen die feuchten Tränendrüsen zu wehren.

Am Ende verwandelt man sich selbst in einen dieser schrecklichen Klischeezuschauer, die gleichzeitig lachen und heulen - und es ist einem egal. Als Mr. Long aus dem Fenster des Cafés auf die andere Straßenseite blickt und sein Leben plötzlich einen neuen Sinn bekommt, da ist man froh, ihn auf seiner turbulenten Reise der wenigen Worte begleitet zu haben.

Montag, der 6. Februar 2023

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