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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Pornostar: Der Schrecken der Unterwelt
© Rapid Eye Movies

PornostarDer Schrecken der Unterwelt

Als Arano aus dem Bahnhof in Shibuya tritt, ist sein Schicksal bereits besiegelt. Der junge Mann kam nach Tokio, um dort seine Träume wahr werden zu lassen: Es soll Messer regnen. Und zwar am besten in die Herzen der Yakuza, auf der er einen unerklärlichen und rigorosen Hass pflegt. Es gibt zu viele überflüssige Elemente in dieser Welt, so das Credo, das er immer wieder vor sich hin murmelt.

Schnell gerät der ansonsten eher wortkarge Arano, gespielt von Chihara Junia, ins Kreuzfeuer zweier rivalisierender Gangs und freundet sich in dem Chaos mit dem Clubbesitzer Kamijo, dargestellt von Onimaru, und der vorlauten Skaterin Alice, in Szene gesetzt von Rin Ozawa, an. Doch die zarten Bande, die er knüpft, werden schnell von Gier, Rache und Überheblichkeit wieder zerrissen.

Der im Jahr 1998 erschiene Film Pornostar ist das Debütwerk des japanischen Regisseurs Toshiaki Toyoda und kann zumindest eine Sache nicht von sich behaupten: Normal zu sein. Irgendwo zwischen Drama, Thriller und Gangsterfilm und einem Eimer Kunstblut sprießt sogar ein Hauch von Lovestory hervor, alles innerhalb der rastlosen Kulisse eines Tokios kurz vor dem Millennium.

Die Quelle der Fantasie und Kreativität ist der Zorn, erklärt Toshiaki Toyoda, wie viel Punkrock in Pornostar steckt, in einem Interview mit dem Onlinemagazin Grimoire of Horror. Es gibt eine tiefe Wut in mir. Sie verblasst nicht. Deshalb habe ich gewalttätige Musik immer geliebt. Das liegt daran, dass ich darin meine Seele spüre. Die Gesellschaft ist immer irrational. Auch darauf bin ich wütend. Ich verstehe, warum man es Punkrock nennt.

Als Kind war ich schockiert von den Filmen von Bruce Lee, erzählt der Regisseur von seinen Vorbildern. Er hat mich genauso inspiriert wie Jimmy Hendricks. Dann habe ich Jeet Kune Do gelernt. Außerdem liebe ich Akira Kurosawa, Shintaro Katsu und Stanley Kubrick.

Seit ich neun Jahre alt war, lebte ich für professionelles Shogi, führt Toshiaki Toyoda aus, warum aus ihm beinahe gar kein Filmemacher geworden wäre. In meiner Jugend gab es nur Shogi. Ich wurde müde, und mein Geist hatte es satt. Filme im Kino zu sehen, hat mich befreit. Der Einstieg in die Filmbranche war ein Glücksfall. Ich hatte ein Projekt, bei dem ich einen Nebenjob hatte, aber plötzlich wurde ich Drehbuchautor. Danach wurde mir gesagt, ich solle sofort Regie führen, und das tue ich bis heute.

An Filmsets wird man immer wieder aufgefordert, Entscheidungen zu treffen, erklärt der Künstler, was ihm seine Vergangenheit als professioneller Shogispieler heute in der Welt der Filme für Vorteile bringt. Diese Fähigkeit ist dem Shogi sehr ähnlich. Und Shogi ist ein Kriegsspiel. Man kämpft, um zu gewinnen. Und auch beim Filmemachen plant man, um zu gewinnen.

Pornostar ist voller Blut, Gewalt und Tod. Und doch geschieht das alles fast schon nüchtern, nebenbei und handwerklich so roh, dass man beinahe das Gefühl hat, im selben Raum zu sitzen und Zeuge davon zu werden, wie ein Menschenleben nach dem anderen ausgelöscht wird, nur um anschließend wieder mit einer Kippe im Mund auf der Straße zu stehen und in der nächstgelegenen Spielhalle seine hart verdienten Yen zu verschleudern.

Dem Film mangelt es an sympathischen Charakteren, mit denen man sich identifizieren kann. Aranos Motiv, die Welt von den Yakuza zu säubern, kann zwar erahnt werden, bleibt dem Zuschauer allerdings größtenteils verborgen. Und Kamijos fataler Schritt in die Fänge der Unterwelt geschieht ebenso beiläufig wie das letzte Treffen mit Alice, die von all den Figuren womöglich ein Ausweg für Arano und dessen Traum von blutigen Messern gewesen wäre.

Aber vielleicht ist es gerade dieser erzählerische Makel, der Pornostar so besonders macht. Vielleicht möchte man gar nicht, dass diese Menschen ihr Glück finden. Warum auch? Sie haben sich aus freien Stücken dazu entschieden, an diesem grausamen Spiel der Unterwelt teilzunehmen. Eventuell haben sie Arano als Racheengel geradezu verdient. Und womöglich stürzt auch er sich mit dem ersten Mord in einen Abgrund, aus dem es eben kein Entkommen mehr geben darf.

Tatsächlich hat Pornostar mich an den im selben Jahr veröffentlichten Film Love & Pop von Hideaki Anno erinnert, ohne auch nur irgendeine andere Gemeinsamkeit zu besitzen als dass sie in der selben Stadt spielen. Doch der handwerklich rohe, fast schon dokumentarische Drehstil beider Regisseure könnte fast zwei Seiten ein und derselben Medaille sein. Nur dass die eine Seite voller unartiger Schülerinnen und die andere eben... naja... voller Blut ist.

Wer sich Pornostar mit der Erwartung ansieht, am Ende zufrieden, inspiriert oder gar glücklich zu sein, der irrt. Der Film macht keine Gefangenen - ganz im Gegenteil. Man würde es dem ein oder anderen Charakter zwar gönnen, den Grand Summer of Love auf Fiji zu erleben und so selig ins Jahr 2000 zu rutschen, doch wie heißt es bereits in der Bibel? Wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen. Und sich dieser heiligen Prophezeiung zu widersetzen, scheint in dieser herzlosen Welt fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein...

Dienstag, der 21. Februar 2023

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