Berlin Art Week: Kunst macht mich wütend
Marcel Winatschek
Ich stehe vor einer Wand. Sie ist groß und hell und weitgehend leer. Nur zwei eingerahmte Bilder hängen an ihr. Konzentriert gucke ich sie mir an. Darauf zu sehen sind ein paar kleine Strichmännchen. Sie stehen nur so da. Glotzen zurück. In der Ecke eine Sonne. Am Boden etwas Gras. Alles schwarz und weiß. Das daneben bietet auch nicht viel mehr abenteuerliche Erfahrungen. Die Galeriebesitzerin sitzt gelangweilt auf einem Holzstuhl und tippt auf ihrem iPad herum. Um m…

Berlin Art WeekKunst macht mich wütend
Ich stehe vor einer Wand. Sie ist groß und hell und weitgehend leer. Nur zwei eingerahmte Bilder hängen an ihr. Konzentriert gucke ich sie mir an. Darauf zu sehen sind ein paar kleine Strichmännchen. Sie stehen nur so da. Glotzen zurück. In der Ecke eine Sonne. Am Boden etwas Gras. Alles schwarz und weiß.
Das daneben bietet auch nicht viel mehr abenteuerliche Erfahrungen. Die Galeriebesitzerin sitzt gelangweilt auf einem Holzstuhl und tippt auf ihrem iPad herum. Um mich herum schwirren Kenner, Gönner und Käufer herum. Und ich möchte einfach nur schreien. Kunst macht mich wütend!
Am Wochenende waren meine Freundin Julia und ich auf der Art Week in Berlin. Große und kleine Galerien in der ganzen Stadt bieten Einlass, mit nur einem relativ günstigen Ticket, in eine abartige Welt, die vielen sonst womöglich verborgen bleibt. Also fuhren wir zur Art Berlin Contemporary, zu den Opernwerkstätten, in die Kunst-Werke, in den Hamburger Bahnhof. Dazwischen etwas Kaffee. Und meine Wut, ganz tief in mir drin, wurde immer stärker.
Ich sah alles. Felsbrocken auf dem Boden. Fettgebilde neben Säulen. Fäuste an Stricken. Zeitungsausschnitte hinter Glas. Gehirne auf dem Tisch. Ausgedruckte Memes auf Pappe. Ich watete durch ein Meer aus Justin-Bieber-Postern und als ich aufblickte, holte ein Typ einem anderen in einem alten Farbfernseher einen runter. Am liebsten hätte ich mir den nächsten galant herumstolzierenden Kunstliebhaber geschnappt und ihn angebrüllt: "Was soll ich empfinden, was soll ich denken, was, verdammt noch mal, wollt ihr mir damit sagen?! Aaaaaaaaaaahhhhhhhhhh!!"
"Du musst für dich selbst herausfinden, was dir die Kunst vermitteln soll", meint Julia, als wir zur nächsten Galerie irgendwo in Berlin-Mitte spazieren. "Keiner kann dir vorschreiben, wie du dich zu fühlen hast." In diesem Augenblick fühle ich mich dumm. Einfach nur dumm. Weil vor jedem Gemälde, vor jeder Installation, vor jeder Skulptur jemand mit jemandem anderen steht, und sie reden über das, was sie da sehen. Sie diskutieren, sie loben, sie kritisieren.
Was sich der Künstler bei dieser Farbwahl gedacht hat. Was bei diesem Material, was bei diesem Blickwinkel. Während hinter mir eine regelrechte Blutorgie mit toten Tieren, frischem Gemüse und in weiß gekleidete und von einem halbtoten dicken Österreicher diktierte junge Menschen stattfindet, stehe ich vor einem Bild mit Strichmännchen. Um die 2.000 Euro kostet es. Ob es mir das wert wäre, wenn ich es jetzt von der Wand reiße und damit so lange Galeristen, Kreative und Sammler verprügle, bis mir einer eine Antwort auf meine Frage geben kann. "Was?"
Ich liebe die Kunstwelt. Ich liebe diese gut angezogenen Menschen, die besser gekleidet sind als jeder Fashion-Week-Besucher. Ich liebe die großen, hellen Gebäude, die irgendwann einmal Bahnhöfe, Werkstätten oder Fabriken waren und die heute als Parallelwelt zu einer von Krieg, Hass und Armut zerrütteten Welt dienen.
Ich liebe die großformatigen Zeitschriften und die alten Bücher und den atmenden Rotwein und das intellektuelle Gerede und die absurden Preise und die mit Jutebeuteln bewaffneten Mädchen, die sonntags allein durch Galerien streifen und geradezu vor ungestümer Introversion und einer daraus resultierenden Studenten-Kreuzberg-Altbau-Wohnungsgemeinschaft-Gregor-Schwellenbach-Geklimper-Roman-Biowein-Gespräche-bei-Nacht-Sexualität strotzen. Nur das, worum sich das eigentlich alles dreht, und zwar die Kunst an sich, das verschließt sich mir.
Dann fühle ich mich wie ein BILD-lesender RTL-Gucker, der sonntags irgendwas mit Ausländerhass wählt und Kinderschändern bevorzugt die Eier wegreißen würde, aber nachts, wenn seine runzlige Frau schläft, zu Fotos seiner minderjährigen Nichte onaniert.
Wer die Kunst nicht schätzt, der verwandelt sich in einen Fast-Food-fressenden, Salat wegwerfenden Stammtischproleten mit Windows-PC zu Hause. Das ist doch alles Arzi-Farzi. Lieber Fußball gucken als ins Museum, lieber Fett als Karotten, lieber Bier als Wein, lieber Fotzen als Musen. Für Kunst zu dämlich, fürs Schöne zu konventionell.
Doch es gibt Lichtblicke. An Wasserfarbengemälden husche ich vorbei, Wachsfiguren lasse ich links liegen, Räume ohne Sinn und Verstand durchwandere ich, aber sie geben mir nichts, das ist in Ordnung. Dafür mag ich plakative Fotografien. Das wusste ich aber schon vorher.
Ich liebe es, Menschen dabei zu beobachten wie sie Kunst beobachten. Ich nehme die Schwingungen einer Welt auf, die so absurd und schön gleichzeitig ist, die leidet und hofft, deren Schnitte zwischen Armut und Reichtum hart sind. Ich mag es, mich über dämliche Kunst aufzuregen, ob der mich verarschen will, gebe ich dann gern von mir, 2000 Euro für den Scheiß, frage ich mich selbst, dass ich das schon im Kindergarten besser konnte, protze ich.
Dass es darum gar nicht geht, das ist mir bewusst, das weiß ich selbst, aber es ist mir egal. Ich lache mit und über Kunst und den ganzen Schund, der sich als solche verkauft und es deswegen auch gleichzeitig ist. Ich rede mir selbst ein, dass mir Strichmännchen, Österreicher und Justin Bieber nichts geben, aber allein die Tatsache, dass ich immer noch an das zurückdenke, was ich an diesem Wochenende gesehen habe, straft mich Lügen.
Kunst macht mich wütend. Diese Wirkung kann nicht jeder von sich behaupten. Und selbst wenn mich 99 von 100 Dingen wütend machen, die ich erblicke, sie fluten dennoch meine Gedanken, sie geben mir Energie, sie wecken Erinnerungen und Freude und… ganz viel Hass. Und die wenigen Perlen, die sich an mich schmiegen, die verfolge ich, die stalke ich, über die möchte ich alles wissen. Warum, frage ich mich dann. Wie, frage ich mich. Wo, frage ich mich. Und ganz besonders frage ich mich: Was, um Gottes Willen, willst du mir eigentlich damit sagen?
Donnerstag, der 8. November 2018
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