Die sinnlose Liebe: Manchmal wünschte ich, du wärst mir egal
Marcel Winatschek
Als sie sich auf den Heimweg macht, rufe ich ihr den ersten dummen Spruch hinterher, der mir gerade einfällt. Die schwarz gekleidete, schlanke Person mit den vom Leben gezeichneten weißen Turnschuhen dreht sich noch einmal um, grinst, ruft zurück und hebt ihre Hand. Ich winke ebenfalls, dann wird sie stetig ein bisschen kleiner - noch kleiner als sie sowieso schon ist. Der Rauch ihrer Zigarette tanzt in der sonst so klaren Luft. Nur ganz kurz schaue ich ihr noch hint…

Die sinnlose LiebeManchmal wünschte ich, du wärst mir egal
Als sie sich auf den Heimweg macht, rufe ich ihr den ersten dummen Spruch hinterher, der mir gerade einfällt. Die schwarz gekleidete, schlanke Person mit den vom Leben gezeichneten weißen Turnschuhen dreht sich noch einmal um, grinst, ruft zurück und hebt ihre Hand. Ich winke ebenfalls, dann wird sie stetig ein bisschen kleiner - noch kleiner als sie sowieso schon ist.
Der Rauch ihrer Zigarette tanzt in der sonst so klaren Luft. Nur ganz kurz schaue ich ihr noch hinterher, länger halte ich den Anblick und die mich allmählich umarmende Kälte nicht aus, öffne die schwere, gläserne Tür und betrete noch einmal das vor fremden Träumen nur so strotzende Gebäude, das sich in den vergangenen Monaten in unsere Zuflucht vor der meist so lauten, chaotischen und von allen guten Geistern verlassenen Welt da draußen verwandelt hat.
Ich möchte den Zeitpunkt mit voller Absicht verpassen, an dem sie komplett hinter den Mauern verschwunden ist. Vielleicht, weil ich tief drin ja doch ein Feigling bin, und mir so weniger schnell bewusst wird, dass es ohne sie hier, in diesen lichtdurchfluteten Hallen, ganz schön einsam ist.
Es gibt kein schlimmeres Gefühl, als in jemanden verliebt zu sein, in den man, aus diversen Gründen, nicht verliebt sein sollte. Vielleicht, weil es einfach zu viele Unterschiede zwischen einem selbst und demjenigen auf der anderen Seite gibt. Weil die Person der Gunst bereits jemanden hat, der die Position ausfüllt, die man selbst gerne inne hätte.
Oder weil der Mensch, an den man immer wieder, zu den unmöglichsten Zeiten, womöglich sogar ständig, denken muss, einfach nicht die gleichen Emotionen teilt, die man ihm so überaus verwundbar entgegen streckt. Und wenn es richtig blöd läuft, dann treffen alle diese Punkte gleichermaßen zu und rammen einen umso härter.
Eine kaum überwindbare Wahrheit scheint zumindest sicher zu sein: Diese Liebe hat keinen Sinn, keine Zukunft und somit auch keinen Wert. Und daran kann man nichts ändern, egal wie sehr man die Sache auch dreht und wendet und sich das auch wünschen würde.
Man versucht, mit aller Gewalt, objektive Argumente dafür zu finden, warum es viel logischer wäre, wenn man keine Zuneigung für das unverschämt grinsende Gegenüber haben würde. Aber egal, wie penibel man auch versucht diese aufzuspüren, sie existieren einfach nicht - nirgendwo.
Die Listen, Tabellen und Diagramme der negativen Begründungen bleiben auch an diesem Tag leer - so wie immer. Denn es spricht partout nichts dafür, eben nicht in diesen vor unterschiedlichen Talenten fast schon zerberstenden Körper eintauchen zu wollen.
Wie könnte man sich dem nüchternen, entwaffnenden und scharfsinnigen Charme dieser Person auch erwehren? Sie ist hübsch, sie ist klug, sie ist frech. Sie hat immer einen dummen Spruch auf Lager, glüht entweder vor Energie oder versinkt apathisch in ihren Gedanken und jedes Mal, wenn man mit ihr redet, öffnet sie sich wie eine menschgewordene Wundertüte der interessanten Geschichten.
Ihre Art wechselt fließend von dreister Göre zu motivierender Muse, ohne komplett auf Regeln, Leitfäden und gesellschaftlich relevante Gepflogenheiten zu verzichten. Im Grunde ist sie nämlich eine von den Guten, egal wie sehr sie das auch manchmal durch ihre rabiate Art und das lose Mundwerk zu vertuschen versucht.
Man sammelt jedes neue Detail zu ihrem Leben, wie überall auf dem Erdball verteilte Puzzlestücke, die nach und nach zusammengebaut eine liebevoll verzierte und teilweise vernarbte Schatzkarte ergeben, an der man sich orientieren kann, um immer noch weitere Abenteuer, Erinnerungen und Inspirationen zu entdecken.
Dann sitzt man da, hört, staunt und reist mit ihr gemeinsam noch einmal zurück zu diesen schicksalhaften Momenten, die sie zu dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, wundervollen Persönlichkeit gemacht haben, die sie heute eben ist.
Und vollkommen egal, für wie großartig, bedeutsam und abwechslungsreich man sein eigenes Dasein auch halten mag, es ist nichts im Vergleich zu den Theaterstücken, die sich da gerade vor seinem geistigen Auge abspielen. Man schaut gespannt zu und kann nur noch mit offenem Mund verblüfft sein.
Die sinnlose Liebe ist kein Schock, kein Rütteln und kein Beben. Sie nagt an einem, immer ein bisschen, mal mehr, mal weniger. Meist in Situationen, an denen man sie am wenigsten erwartet, oder eben dann, wenn man ein gewisses Lächeln, gezeichnet von den Erfahrungen eines jungen, aber aufregenden Lebens, wieder erblickt. Dann ist man einen Augenblick lang glücklich und erinnert sich kurz darauf wieder daran, dass es ja einen Grund gab, warum einem gleich das Herz wieder ein wenig schwerer werden wird.
Doch wider allen Anscheins ist die sinnlose Liebe kein unheilvolles Gefühl - ganz im Gegenteil. Viel trostloser wäre es, sich dieser Emotion von vornherein zu erwehren. Denn dass man die sinnlose Liebe überhaupt irgendwo in seiner verkümmerten und von jeglicher Empathie befreiten Seele spürt, ist der Beweis dafür, dass man sich der Welt gegenüber noch nicht ganz verschlossen hat, dass man innerlich noch nicht tot ist, dass es weiterhin Hoffnung dafür gibt, nicht irgendwann endgültig und ohne Aussicht auf Rettung in seiner minimalistischen Melancholie zu ertrinken.
Als sie sich auf den Heimweg macht, rufe ich ihr den ersten dummen Spruch hinterher, der mir gerade einfällt. In meinen Worten verstecken sich keine Lügen, kein Hohn und keine falschen Erwartungen. Mir ist vollkommen bewusst, von welcher Position aus ich ihr da fast schon entgegen schreie und dass ihre kleine Welt bereits voll besetzt ist mit Figuren, die ich weder ersetzen kann noch ersetzen will.
Die schwarz gekleidete, schlanke Person mit den vom Leben gezeichneten weißen Turnschuhen dreht sich noch einmal um, grinst, ruft zurück und hebt ihre Hand. Ich winke ebenfalls, dann wird sie stetig ein bisschen kleiner - noch kleiner als sie sowieso schon ist.
Die einzige Hoffnung gilt einer Zukunft, in der man weiterhin diesem hübschen Gesicht folgen und seinen Geschichten lauschen darf. Schließlich ist die gemeinsame Zeit limitiert. Aber allein die psychologisch womöglich nicht ganz so einwandfreie Tatsache, dass andere Menschen einen nach kürzester Zeit langweilen oder gar nerven, und diese Person eben nicht, ist manchmal so neu, so selten, so ungewöhnlich, dass man einfach nicht anders kann, als in ihrer Nähe zu bleiben und gespannt darauf zu warten, was da wohl noch so kommen wird.
Natürlich muss man dabei aufpassen, nicht in die gleichen Fallen zu tappen, in die schon so manch anderer vor einem getappt ist. Denn eine unerwiderte Zuneigung kann im Handumdrehen kippen, so dass man plötzlich nicht nur vor der traurigen Gewissheit einer unerfüllten Romanze, sondern auch noch vor den Trümmern einer sich in Staub und Asche verwandelten Freundschaft steht. Und das sollte man natürlich tunlichst verhindern, sonst endet die deprimierende Reise nicht nur mit leeren Händen, sondern zusätzlich noch mit einer verletzten Seele.
Es gibt kein schlimmeres Gefühl, als in jemanden verliebt zu sein, in den man, aus diversen Gründen, nicht verliebt sein sollte. Und doch freut man sich insgeheim ein bisschen darüber. Weil es auch viel über einen selbst und den Weg, den man bislang gegangen ist, aussagt.
Schließlich kann diese von vornherein als negativ eingestufte Emotion sich mit einem anderen Blickwinkel in kürzester Zeit in eine wahre Fundgrube der bewusstseinserweiternden Ideen verwandeln. Man muss nur die richtigen Schlüsse aus ihr ziehen und darf nicht in überholten Denkmustern agieren.
Die sinnlose Liebe ist ein bittersüßes Geschenk, aus der man Erkenntnisse ziehen, Inspirationen holen und die ein oder andere Lektion über sich und andere gewinnen kann. Sie gibt einem die Möglichkeit, sein eigenes Leben mit den Erfahrungen des anderen zu bereichern, die dieser so vertrauensvoll mit einem teilt.
Dieser Chance sollte man sich auf keinen Fall verschließen, sondern, im Gegenteil, so offenherzig wie nur irgendwie möglich entgegen treten. Auch wenn, oder vielleicht sogar gerade weil, man das eigentliche Ziel, ein Teil der Welt desjenigen, dem diese sinnlose Liebe gilt, zu werden, wahrscheinlich niemals erreichen wird.
Doch die Hoffnung, egal wie klein, kümmerlich und unrealistisch sie auch sein mag, stirbt bekanntlich zuletzt. Und mehr braucht man manchmal gar nicht, um in dieser meist so lauten, chaotischen und von allen guten Geistern verlassenen Welt, die da draußen, vor diesen lichtdurchfluteten Hallen, auf einen wartet, weiterzumachen.
Sonntag, der 12. Februar 2023
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