Gesellschaftsficks: Smalltalk ist Hitler
Marcel Winatschek
Wir stehen also in dieser Hotellobby am Tresen und starren Löcher in die Luft. Das Mädchen heißt Irina und ist prall, der Typ heißt Erik und ist wichtig, ich heiße Marcel und möchte nach Hause. Aber das geht nicht. Geschäftliche Termine sind essentiell fürs Geschäft. Anstatt Irina also zu sagen, dass ich sie heute Abend so gegen 9 anal in ihrem Einzelzimmer penetrieren möchte und Erik meine Bankdaten behutsam an die Stirn tackere, damit er mir sein geerbtes Vermögen…

GesellschaftsficksSmalltalk ist Hitler
Wir stehen also in dieser Hotellobby am Tresen und starren Löcher in die Luft. Das Mädchen heißt Irina und ist prall, der Typ heißt Erik und ist wichtig, ich heiße Marcel und möchte nach Hause. Aber das geht nicht. Geschäftliche Termine sind essentiell fürs Geschäft. Anstatt Irina also zu sagen, dass ich sie heute Abend so gegen 9 anal in ihrem Einzelzimmer penetrieren möchte und Erik meine Bankdaten behutsam an die Stirn tackere, damit er mir sein geerbtes Vermögen überweisen kann, müssen wir erst einmal den gesellschaftlichen Tanz der Tänze aufführen.
Ich hasse Smalltalk. Und ich hasse das aufmerksame Dein-Leben-ist-mir-eigentlich-scheiß-egal-ja-schönes-Wetter-Lächeln mit den trüben Blicken, die allesamt antrainiert wurden, um nicht gähnend übereinander herzufallen. Und die meisten Menschen hasse ich sowieso. Warum also das Ganze? Hunde schnuppern an Hinterteilen, Menschen kommen sich durch Gefasel näher. Was eindeutig weniger Spaß macht. Stellt euch vor, was wir uns für wundersame Stunden sparen könnten, wenn wir direkt zur Sache kommen würden.
Denn sind wir doch mal ehrlich. Rudimentäre Gespräche sind ein Bruchteil des allgemeinen deutschen Gelabers. Informationsaustausch ist wichtig. Der süße Hund deiner Tante nicht. Jemanden aus tiefstem Hass anzubrüllen, weil er mein Eis auf den Boden hat fallen lassen, ist wichtig. Bauer sucht Frau nicht. Wenn ich mich nachts im Park betrunken vor ein Mädchen werfe, um ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebe und dass sie die schönsten Kniekehlen der Welt hat, das ist wichtig. 99 Prozent, ach was sage ich, 100 Prozent aller Tweets sind es nicht.
Allerdings bin ich auch der Meister der Doppelmoral. Während ich mich gerne ohne viele Worte bis zur Spitze der Macht rempeln würde, kann ich Leute nicht ausstehen, die dasselbe mit mir versuchen. Wer etwas von mir will, soll gefälligst meine Lieblingsfarbe kennen, über München im Sommer schwadronieren und etwas in dem Augenblick aussprechen, in dem ich es denke. Die Wichtigkeit dieser Regel sinkt entgegengesetzt zum Brustumfang meines Gegenübers und der Stundenanzahl auf meiner billigen Swatch-Uhr.
Fassen wir zusammen. Smalltalk ist Hitler, wenn ich ihn durchleben muss, aber ein verficktes Gesetz, sollte auch nur irgendwer anderes auf die Idee kommen, sich darüber hinweg zu setzen. Sofort auf Kumpel zu machen, ohne sein Gesicht auf einen Gegenschlag vorzubereiten. Stellt euch gefälligst vor mich, reicht mir die Hand und sagt mir wer ihr seid. Und gebt mir Geld. Viel Geld. Dann können wir weiterreden.
Während der dürre Erik mich also mit seinen Plänen für irgendein idiotisches Webprojekt zutextet und Irinas Lippen zu zerfließen scheinen, versuche ich dem Barkeeper telepathisch zu vermitteln, mir ein scharfes Messer zu bringen oder den Feueralarm zu betätigen oder ganz laut schweinische Witze in Opernform aufzusagen. Nichts davon passiert, mir wird ein Glas Sekt gereicht. Ich nicke freundlich, stoße mit den beiden an, lache unaufrichtig über einen mehr als miesen Wortwitz. Gott, bin ich falsch.
Mittwoch, der 3. August 2016
Kommentar schreiben