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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Je älter, desto dümmer: Denkst du noch oder bist du schon über 30?
© Roman Kraft

Je älter, desto dümmerDenkst du noch oder bist du schon über 30?

Als Kind dachte ich immer, Erwachsene hätten ihr Leben im Griff. Wenn jemand weiß, wie der Hase läuft, dann diejenigen, die bereits Auto fahren, Alkohol trinken und in Pornos mitspielen dürfen. Ich war fasziniert von der Selbstverständlichkeit, mit denen Erwachsene durchs Leben schritten. Und ich war mir sicher, dass das an der puren Lebenserfahrung und, ja, Weisheit eben dieser lag.

Die Alten wuchsen in einer schwarzweißen Zeit vor dem Millennium auf. Als Knight Rider mit einem sprechenden Auto über den Asphalt hopste. Als die Schlümpfe auf Technopartys Saftorgien schmissen. Als die Mauer fiel und sich zuerst alle freuten und anschließend mental wieder eine bauten. Wir hier und die da drüben. Und wann wird eigentlich endlich der Solidaritätszuschlag abgeschafft?

Je mehr Lebensjahre ich sammelte, desto mehr dämmerte es mir, dass die Erwachsenen absolut keinen Plan von dem hatten, was sie da taten. Irgendwie hatten sie sich in ihren Job geschmuggelt und hoffen Tag für Tag, dass ihr Chef nichts von ihrer absoluten Inkompetenz mitbekommt. Sie bestellen das neue iPhone für hundert Euro im Internet, überweisen das Geld nach Bulgarien, und wundern sich, warum sie, wenn überhaupt, nur einen Karton voller Steine zugeschickt bekommen. Und sie verlieben sich in Menschen, die sie verprügeln, und reden sich das auch noch schön. Steffen ist nämlich eigentlich ein ganz lieber Kerl.

Erwachsene Menschen sind vom Leben konstant überfordert. Warum darf dich schwarze Menschen nicht mehr Mohr nennen? Damals durfte ich das noch! Warum ist Biene Maja jetzt nicht mehr fett? Damals war sie das noch! Warum liest eine Frau die Fußballergebnisse vor? Damals taten sie das noch nicht! Wenn erwachsene Menschen eines hassen, dann sind es Veränderungen. Sowohl kleine als auch große.

Es wäre ja nicht so schlimm, wenn alte Menschen sich einfach eingestehen würden, dass sie nicht so helle sind, wie sie immer gedacht haben. Dumme Menschen sind bekanntlich sowieso glücklicher. Die machen sich nicht so viele Gedanken, stellen nicht so viele Fragen und sind auch noch besser im Bett. Davon hat also jeder etwas, der Frieden, Ruhe und obendrauf auch noch einen guten Fick möchte.

Das Problem daran ist, dass alte, dumme Menschen erstens nicht wissen, dass sie alt und dumm sind, und sich zweitens auch noch von allem und jeden beeinflussen lassen, der ihnen weismacht, sie wären klüger als sie es nun einmal sind, nur um von ihrer mentalen Überforderung finanziell zu profitieren, ohne dass die atmenden und laufenden Daseinsopfer etwas davon mitbekommen.

Ich würde behaupten, dass ich in meiner Jugend mit Menschen befreundet war, die clever, frech und voller Energie waren. Wir lachten gemeinsam über die Absurditäten der vorherigen Generation, wehrten uns gegen ihre negativen Einflüsse und schmiedeten große Pläne, wie wir niemals so werden würden wie sie. Das war unser Hauptziel: Auf keinen Fall so werden wie sie. Niemals. Dann lieber gleich sterben.

Zwanzig Jahre später sind sie alle die exakten Abbilder ihrer Eltern, gegen die sie sich über Dekaden hinweg erfolgreich gewehrt haben. Jetzt hetzen sie auch gegen Ausländer, beten Engel an oder glauben, dass man mit einer Mischung aus Himbeeren, Pisse und Kurkuma Krebs heilen kann. Sie konsumieren die BILD-Zeitung nicht mehr aus Ironie, sondern als einzige Informationsquelle. Natürlich neben dem YouTube-Kanal von DieWahrheit24 und den Telegram-Gruppen von Xavier Naidoo, Michael Wendler und Attila Hildmann.

Es ist fast so, als würden wir alle bei Punkt Null starten. Wir werden allesamt als vollkommen neutrale Geschöpfe in diese Welt geworfen. Bei unserer Geburt haben wie keine Vorurteile, wir sind nicht rassistisch, und wir glauben schon gar nicht daran, dass man die Worte von Wissenschaftlern auch nur im Entferntesten mit denen verrückt gewordener Schlagersänger, Stripper und Köche aufwiegen oder gar gleichsetzen kann.

Irgendwann auf ihrem Weg ins Grab driften die Menschen ab. Keine als Kinder, wenige als Jugendliche, aber alle als Erwachsene. Dann wachen sie morgens auf und glauben, dass sie es besser wüssten als der Rest der Welt, obwohl ihre nächtliche Erleuchtung wahrscheinlich eher ein kleiner Schlaganfall war. Doch das macht nichts. Sie kennen jetzt die Wahrheit und wir, alle anderen, wir müssen von ihr überzeugt werden.

Menschen wird kurz nach ihrem 30. Geburtstag bewusst, dass ihr Leben ab jetzt nicht mehr besser werden kann. Ganz im Gegenteil. Die schönere, klügere und energiereichere Jugend rückt nach und drückt sie Meter für Meter in die Urne. Und weil sie diese Wahrheit weder verkraften noch verändern können, setzen sie alles daran, unsere Welt, die logische Welt, auf den Kopf zu stellen.

Warum Steuern zahlen, wenn wir doch eigentlich in einem Land leben, das gar nicht existiert? Warum zur Arbeit gehen, wenn die Reichen uns mit Flugzeugabgasen dezimieren wollen? Warum der Jugend eine bessere Welt hinterlassen, wenn die ständige Besserwisserin Greta Thunberg doch auch zu ihnen gehört? Die werden schon noch sehen, was sie davon haben, dass sie jung sind!

Als Kind dachte ich immer, Erwachsene hätten ihr Leben im Griff. Doch jetzt bin ich erwachsen. Und alle, die ich kenne, sind es auch. Keiner von ihnen kommt mit den ständigen Entscheidungen klar. Was soll ich machen, was soll ich glauben, was soll ich denken? Sie sind überfordert mit der puren Masse an Informationen, die tagtäglich auf sie einprasselt, und resignieren irgendwann komplett.

Dann suchen sie nicht Halt bei denen, die die Wahrheit kennen, nämlich dass jeder selbst für sein Glück und für das, was er in seinen Kopf lässt, verantwortlich ist, sondern bei denen, die sie als das betiteln, was sie eben sind: Opfer. Nur um ihnen anschließend das Buch "Alle sind gemein zu mir und ich kann gar nichts dafür!" für nur 49,99 Euro zu verkaufen.

Je älter Menschen werden, desto weniger vertrauen sie auf ihre Intelligenz, sondern vielmehr darauf, dass alle ihnen etwas Böses wollen und sie sich irgendwie dagegen wehren müssen. Sie sind nämlich nur eines: Opfer. Die Lebensmittelindustrie will uns doch alle vergiften, die Juden wollen uns doch alle kontrollieren, die Journalisten wollen uns doch alle indoktrinieren, die Wissenschaftler wollen uns doch alle an die Pharmaindustrie verkaufen, die Außerirdischen wollen uns doch alle entführen.

Die Welt ist also nicht nur voller alter Menschen, die keine Ahnung davon haben, was sie machen, sondern sich auch noch mit aller Kraft gegen eine Zukunft wehren, in der sie nicht mehr das Sagen haben werden. Ihr könnt mit dieser einleuchtenden Information anfangen, was auch immer ihr wollt, denn da ich bereits über 30 bin, möchte ich mich nun entschuldigen. Schließlich muss ich gleich noch ein paar Engel anbeten, meinen Himbeer-Pisse-Kurkuma-Smoothie trinken und die BILD-Zeitung lesen. Manche Artikel darin sind nämlich gar nicht so schlecht...

Freitag, der 10. November 2017

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