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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Philosophische Popkultur: Die Vergänglichkeit der Worte
© Daniel Monteiro

Philosophische PopkulturDie Vergänglichkeit der Worte

Dieser Blog hat sich in den vergangenen Jahre immer wieder gewandelt. Vom kleinen Tagebuch eines bayerischen Mediengestalters über die Geschichtensammlung kreativer, in ganz Deutschland verteilter Köpfe. Von der Bibel des Berliner Nachtlebens über die BILD-Zeitung für Hipster. Von einer digitalen Nachrichtenseite über einen niemals schlafenden Ticker der viralen Begebenheiten. Bis ich irgendwann vor einem schieren Monstrum der falschen Erwartungen und hoffnungslosen Aussichten standen. Dieser Blog wollte alles sein, aber kollabierte dadurch, nichts mehr richtig machen zu können. Aus diversen Gründen.

Ich hatte vergessen, worum es bei diesem Blog wirklich ging, und wollte um jeden Preis relevant bleiben. In dieser schnelllebigen Medienwelt. Meinen Blick nach vorne gerichtet, gab es nur eine Wahl: Mithalten. Mithalten mit den Nachrichten. Mithalten mit den Trends. Mithalten mit dem Lauten und Glänzenden und Blinkenden. Ich war Marcel Winatschek, Bitch, ich musste noch krasser sein als alle anderen!

Irgendwann haute ich nur noch blindlings irgendwelche News und Lookbooks und Gossips und YouTube-Videos und Shitstorms und Titten raus, in einer vollkommen irrelevanten Mischung. Hauptsache es passierte etwas. Ob es mir gefiel oder nicht, das war scheißegal. Auffallen um jeden Preis. Fake it till you make it. Die Zukunft konnte nur besser werden. Wurde sie aber nicht.

Ich zerbrach an einem Kampf, den ich weder gewinnen konnte noch gewinnen wollte. Der Blog hatte sich zum Zerbersten mit Nonsens und Bullshit gefüllt. Was ich natürlich nicht wahrhaben wollte, während alle anderen bereits den Kopf schüttelten. Immer wilder sollte es sein, immer fetter. Auffallen um jeden Preis. Jedes Jahr ein Relaunch. Jedes Jahr das gleiche, in einen pseudoepischen Artikel gepackte Versprechen, dass jetzt wieder alles wie früher werden würde. Dass ich verstanden habe, was ihr wirklich wollt. Dass die Seite endlich wieder gut sein wolle.

Doch ich habe dieses Versprechen immer wieder gebrochen. Weil die Welt um mich herum immer noch lauter und glänzender und blinkender wurde und ich das Karussell, in dem ich saß, nicht mehr anhalten konnte, bis mir meine schlechten Metaphern um die Ohren flogen und der Blog unter der Last von verbaler und illustrierter Scheiße regelrecht zerbrach.

Am Ende wollte ich nur noch, dass es vorbei ist. Ich war kurz davor, die Seite, die Archive, alle Dateien zu löschen. Mein Blog war gescheitert. Ich wollte die Weltherrschaft. Doch was ich bekam, das war ein Blick in die absolute Leere einer womöglich glänzenden Zukunft, die ich mir selbst verbaut hatten. Von all dem Spaß, den Erwartungen, der Hoffnung war nichts mehr übrig geblieben.

In einer letzten, von Wein getränkten Nacht stöberte ich durch die alten Texte. Die, die ich veröffentlicht hatte, als Blogs gerade groß wurden. Als das Leben noch ein Spiel war. Als die Welt noch in Ordnung schien. Die längst im digitalen Nirvana verloren gegangen und mit einem Zementblock der Sinnlosigkeit zerstampft worden waren. Ich las sie. Und sie waren gut. Diese zehn Jahre alten Texte über die Liebe, über die Träume, über die Erwartungen einer ganzen Generationen, sie waren gut. Einfach nur gut.

Diese Texte waren besser als der Großteil dessen, was ich in den vergangenen Jahren veröffentlicht hatte. All die schnelllebigen Dramen und Gerüchte und Taten irgendwelcher wandelnder und atmender Aufmerksamkeitsdefizite. All die digitalen Konstruktionen einer geldgeilen Industrie, deren kleine Rädchen längst von Burnouts und Depressionen heimgesucht worden waren. All die niemals enden wollenden Nachrichten einer Welt, die sich mit jedem Tag noch ein wenig schneller zu drehen schien. Sie waren schon in dem Augenblick obsolet, in dem ich über sie schrieb. Vergeudete Worte ohne Verstand. Ohne Nachhall. Ohne Gewicht.

Mir wurde bewusst, dass es nur eine Möglichkeit gab, meinen Blog zu retten. Und die war, das genaue Gegenteil von dem zu machen, was ich in den vergangenen Jahren als meine Aufgabe ansah. Aus diesem metaphorisch immer noch unglaublich dummen Karussell, das heute vor Geschwindigkeit fast abzuheben scheint, auszusteigen, aus einer sicheren Distanz heraus darauf zu blicken und meinen eigenen Weg, mit meiner eigenen Definition von Zeit, zu gehen.

Was das nun wieder bedeutet? Ich möchte, dass die Texte, die auf diesem Blog erscheinen, nicht nur in den nächsten zehn Minuten, sondern auch in den nächsten zehn Jahren noch relevant sind. Irgendwer in einer weit entfernten Zukunft, wenn Hoverboards wirklich schweben können und wir übers Wochenende zum Ballermann 2 auf den Mars fliegen, soll sie lesen und sich denken: Das spricht mir aus der Seele. Das inspiriert mich dazu, etwas Neues auszuprobieren. Das sollte ich denen zeigen, die ich mag und liebe. Man soll den Inhalten ihr Alter nicht anmerken. Weil es eben vollkommen irrelevant ist.

Natürlich ist kein Satz für die Ewigkeit. Aus dem Herzen geschriebene Texte sind nun einmal immer eine Momentaufnahme. Ein Porträt ihrer Zeit, in der sie verfasst worden sind. Aber ein "Die Jugend ist an die Jugend verschwendet" hat nun mal eine andere Halbwertszeit als ein "Miley Cyrus hat schon wieder auf den Boden gepisst." Obwohl das Zweite ja auch irgendwie seinen Reiz hat. Für den ein oder anderen.

Was bedeutet das jetzt für diesen Blog? Ich möchte, dass die Seite wieder eine kunterbunte Wundertüte voller Überraschungen wird, in der für jeden etwas Schönes dabei ist. Egal, ob man sich nun die vor Faszination triefende Kritik eines Animes durchlesen möchte oder eine Ode an die Brust. Egal, ob es um die verliebte Vorstellung einer neuen Sängerin geht oder um die schmerzhaften Erinnerungen einer längst vergangenen Zeit. Egal, ob man sich einfach nur ein paar bezaubernde Fotos anschauen oder eine epische Geschichte in den Untiefen Berlins miterleben will.

Wichtig ist mir, dass die Artikel, die ab jetzt auf diesem Blog erscheinen, so toll, so schön, so lesenswert sind, dass sie auch in einem, in zwei, in fünf, ja, vielleicht sogar in zehn Jahren relevant sind, ohne die Ecken und Kanten zu verlieren, für die die Seite bekannt ist. Cowboy Bebop wird auch in einer Dekade noch Kult sein. Die Bücher von Haruki Murakami werden auch in einer Dekade noch wichtig sein. Texte über Herzschmerz werden auch in einer Dekade noch Menschen dazu inspirieren, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen - oder zumindest ein bisschen schöner im Selbstmitleid zu versinken.

Konkret heißt das, dass die Artikel auf meinem Blog ohne sichtbares Datum veröffentlicht werden. Weil es vollkommen egal ist, wann genau sie erschienen sind. Und dass, zum anderen, die Startseite ganz ohne Schnickschnack auskommt. Die Texte werden zwar chronologisch angezeigt, aber im Grunde ist es vollkommen irrelevant, wann sie erschienen sind. Man kann blind irgendeinen Artikel auswählen und bekommt man immer wieder eine bunt zusammengewürfelte Themenwelt, in die man jedes Mal aufs Neue eintauchen kann.

Um einen Neustart zu wagen, habe ich meinen Blog komplett archiviert, den Server gelöscht und mit einem frischen Design einfach wieder von vorne angefangen. Nach und nach werde ich nun alte Artikel auswählen, überarbeiten, korrigieren, glatt ziehen und neu illustrieren, um sie anschließend wieder zu veröffentlichen. Aber natürlich werde ich auch regelmäßig neue Inhalte nachschieben und sie darunter mischen, so dass es immer wieder etwas Spannendes zu entdecken gibt. Mit jedem anbrechenden Tag soll mein Blog so ein wenig weiter wachsen. Langsam, stetig und mit Freude.

Ich habe auch alle Werbebanner von der Seite verbannt. Monetisiert wird mein Blog ab jetzt nur noch durch bezahlte Artikel, die ich, wer hätte das gedacht, Anzeigen nennen. Ich stelle darin hübsche Handys, schnieke Klamotten oder leckere Pferdesalami vor und erhalte dafür, im besten Fall, Geld. Dadurch kann ich meinen Blog auch in Zukunft am Laufen halten. Hoffentlich.

Die Ironie dieses Textes liegt nach natürlich in zwei Punkten. Erstens: Er ist im Grunde auch nur wieder einer dieser sich immer wiederholenden pseudoepischen Texte, die die Auferstehung meines Blogs preisen und hoch und heilig schwören, dass jetzt wieder alles so wie früher wird. Das hat schließlich bislang immer sehr gut funktioniert. Und zweitens: Dass er die Vergänglichkeit der Worte anprangert und selbst zu den Texten gehört, die, aus inhaltlichen Gründen, in Windeseile an Relevanz verlieren werden.

Ich möchte einfach, dass mein Blog wieder zu einem kleinen, kunterbunt leuchtenden Partyschiff inmitten eines unüberschaubaren digitalen Ozeans voller Unsinn wird. Auf dem jeder Spaß hat, egal, ob er sich der tiefsinnig ausformulierten Vergänglichkeit des Seins oder nur ein paar hübschen Bildern noch hübscherer Menschen hingeben möchte. Jeder ist bei mir willkommen, darf sich umsehen, und die Gedanken und Meinung mitnehmen, die er für wichtig und richtig hält. Oder auch nicht. Ich freue mich jedenfalls, wenn ich euch als Leser auch weiterhin ein wenig auf eurem turbulenten Lebensweg begleiten, unterhalten und auch inspirieren kann. Auf meine ganz persönliche Art und Weise.

Donnerstag, der 26. Oktober 2017

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