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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Dating per App: Dumm, dümmer, Tinder
© Cherry und Icons8

Dating per AppDumm, dümmer, Tinder

Die traurige Wahrheit ist doch, dass nur zwei verschiedene Arten von Menschen Datingapps nutzen: Diejenigen, die mit ihren Freunden aus Spaß einige Male nach links und rechts wischen, weil sie es, kicher, kicher, total lustig finden, und am nächsten Tag schon wieder vergessen haben, dass sie Tinder überhaupt installiert haben. Und die anderen, die so verzweifelt sind, dass sie nicht nur im echten Leben niemanden aufreißen können, sondern auch auf allen anderen sozialen Plattformen versagt haben.

Wenn euch schon auf Facebook, Twitter und Instagram, all die Jahre lang, niemand wirklich so gut fand, dass er oder sie euch angeschrieben und zu einem baldigen Treffen gebeten hat, warum, um aller Welt, glaubt ihr dann, dass ihr gerade durch einen als Liebesapp getarnten digitalen Swingerclub den nächsten Stich landet?

Was mich den Kopf schütteln lässt, ist nicht etwa die Oberflächlichkeit, mit der da interessante Charaktere ins digitale Nirvana gewischt werden, weil auch nur irgendein Detail nicht stimmt, sondern dass man dummen Leuten heutzutage auf dumme Art und Weise einen Rahmen bieten muss, damit sie sich überhaupt ineinander verknallen können.

Wir leben in einer Zeit, in der Idioten zu jeder Tätigkeit eine App herunterladen können, weil sie zu beschränkt sind, ihr Leben alleine in den Griff zu bekommen. Hier eine Jogaapp, weil euch die YouTube-Suche anscheinend zu umständlich ist. Hier eine Rezepteapp, weil die Kochbücher eurer Mutter zu schwer sind. Hier eine Wetterapp, weil ihr zu faul seid, aus dem Fenster zu gucken. Hier eine Kalenderapp, weil ihr vergessen habt, dass nach Mittwoch Donnerstag kommt.

Und jetzt eben die Flut an Fickapps, weil die digitale Generation ohne die zugehörige App nicht einmal mehr weiß, für wen sie die Beine breitmachen sollen – und für wen eben nicht. Die sozial verkrüppelt sind und sich sogar beim ersten Date lieber WhatsApp-Nachrichten schicken, anstatt mit den dazugehörigen Organen zu interagieren, nämlich Mund und Ohren.

Grindr habe ich noch verstanden. Homo- oder bisexuelle Menschen suchen im Umkreis von ein paar 100 Metern jemanden, dem sie das Loch stopfen können. Hallo, poppen, ciao. Bravo! Aber Tinder, Happn & Co. verlagern peinliches Kennenlernen einfach nur ins Internet. "Ach, du stehst auf Bäume?" "Ja… schon.." "Aha.. und, was machst du so?" "Öhm… Baum…?"

Tinder ist, als würde man minderbemittelte Lebensgescheiterte in einen großen, roten Kreis setzen und ihnen sagen: So, jetzt dürft ihr Liebi Liebi, Knutschi Knutschi und Ficki Ficki machen. Alle versuchen noch schnell zu klatschen und dann geht’s auch schon los.

"Genau, dein Penis muss in die Vagina von der Tanja, geeenau, ja, gut machst du das, Thorsten, sehr gut! Das gibt gleich ein Fleißbildchen in deine Geschlechtsverkehrsmappe!" Kurzer Applaus, wieder einen Tag überlebt. Danke, iPhone!

Über Generationen hat es unsere Spezies geschafft, sich allein fortzupflanzen, sich womöglich sogar zu verlieben, und heute, auf der momentanen Spitze der Evolution, da brauchen wir plötzlich allerlei Apps, um morgens überhaupt die Haustür zu finden und nicht acht Stunden lang gegen eine Wand laufen, während wir auf unserem Handy Gesichter nach links und rechts wischen. Siri, wie wasche ich meine Kleidung? Siri, wie verhungere ich nicht? Siri, wie bekomme ich jemanden dazu, sich an meinem Penis zu reiben?

Wenn ihr jemanden kennen lernen wollt, dann geht mit euren Freunden auf eine gute Hausparty, zeigt euch von eurer besten Seite und kommt mit jemandem ins Gespräch. Aber versteckt euch nicht ständig hinter eurem Handy, wie so Psychopathen, die sich für supermodern halten, aber im Grunde einfach nur keine Ahnung haben, wie das Leben außerhalb ihres Screens funktioniert, und sogar eine App dafür brauchen, um nicht auszusterben. Eine schöne neue Zukunft habt ihr uns da eingebrockt.

Freitag, der 6. Februar 2015

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