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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Digitaler Minimalismus: Der spartanische Computer
© Dall-E

Digitaler MinimalismusDer spartanische Computer

Zwei Kommilitoninnen wollten mich letztens beinahe einweisen lassen, nachdem sie mein MacBook gesehen hatten. Die eine hätte das Ding am liebsten aus dem Fenster geworfen oder zumindest auf die Werkseinstellung zurückgesetzt, die andere nannte mich eiskalt Boomer. Und das alles nur, weil ich mich dem digitalen Minimalismus, ach was, dem Spartanismus womöglich etwas zu sehr verschrieben habe.

Es gibt quasi keine Komfortfunktion, die ich auf meinem Mac-Betriebssystem nicht mehr oder weniger elegant ermordet habe. Spotlight? Deaktiviert. Siri? Deaktiviert. Transparenz? Deaktiviert. Wischgesten? Deaktiviert. Vorschaubilder? Deaktiviert. Toneffekte? Deaktiviert. Animationen? Deaktiviert. Fokus? Deaktiviert. Bildschirmzeit? Deaktiviert. Time Machine? Deaktiviert. Gruppierungen? Deaktiviert. Mission Control? Deaktiviert. Stage Manager? Deaktiviert. Mitteilungen? Größtenteils deaktiviert. Außer für Text- und Sprachnachrichten. Hintergrundbild? Schwarz.

Das Dock habe ich seit gefühlten zehn Jahren nicht mehr gesehen. In meiner Menüleiste leuchten lediglich die Uhrzeit, die Batterieanzeige sowie das Kontrollzentrum. Und das Letztere auch nur, weil ich es nicht ausblenden kann. Gott ist mein Zeuge, ich habe wirklich versucht, es auszublenden. Und auf dem Schreibtisch werden auch keine Dateien mehr angezeigt. Alle meine privaten Files liegen penibel geordnet und benannt in der iCloud.

Ich verwende auch jedes Programm im Vollbildmodus, blende nicht nur alle möglichen Symbol- sowie Seitenleisten aus, sondern entferne vorher auch noch jedes einzelne darin enthaltene Icon manuell aus eben diesen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich so weg wie nur irgendwie möglich sind, und wechsle lediglich mit dem nativen App Switcher per Command + Tab durch die verschiedenen Fenster und Control + Tab durch die diversen Reiter. Wenn irgendeine App, warum auch immer, nicht im Vollbildmodus funktioniert, bekomme ich Zustände.

Hinzu kommt, dass ich Programme hasse. Ich habe so wenige wie nur irgendwie möglich auf meinem System installiert. Und am liebsten habe ich lediglich den Finder und Safari gleichzeitig offen. Wenn ich dann doch ein anderes Programm verwenden muss, versuche ich, die Arbeit darin so schnell wie möglich zu erledigen und es ganz schnell wieder zu schließen.

Generell versuche ich, alle Dienste in Safari und nur in Safari allein zu nutzen. Dank Wipr bleiben mir dabei auch die meisten Störfaktoren wie Werbung, Tracker und Cookiebanner erspart. Ich verwende nicht einmal das vorinstallierte Mailprogramm, sondern lieber den iCloud-Mail-Webservice, weil ich es einfach nicht einsehe, warum ich auch nur irgendeine Ressource dafür verschwenden soll, nur damit die Emails eben in einer App und nicht im Web erscheinen. Ich habe auch sonst keine Erweiterungen installiert.

Da ich quasi alles per Tastenkombinationen steuere und ich dafür meine linke Kommandotaste ungefähr drölf Mal in der Sekunde benötige, habe ich sie mit einem Tesastreifen beklebt, den ich regelmäßig auswechsle, damit sie mir nicht durchscheuert. Bei meinem letzten MacBook war die Taste schließlich irgendwann einfach nur noch weiß.

Natürlich war ich nicht immer so, nennen wir es mal wohlwollend, individuell drauf. Als ich meinen ersten Mac mini im Jahr 2005 bekam, war ich noch fasziniert von all den Farben und Transparenzen und verschiebbaren Fenstern. Mein Dock war mit all meinen Lieblingsapps befüllt, die Icons nach Farben sortiert und das kunterbunte Hintergrundbild schien keck darunter hervor. Mein Bildschirm sah aus, als hätte Andy Warhol persönlich einen Zirkus kreiert.

Irgendwann begann Apple damit, immer mehr Funktionen von iOS und später iPadOS nach Mac OS X zu portieren, die ich nach und nach mit mehr oder weniger geheimen Terminalbefehlen wieder deaktivierte. Weil sie in meinen Augen nur dazu da waren, iPhone- und iPad-Nutzer von der Zugänglichkeit des großen Bruders zu überzeugen. Wenn ich allein an das Dashboard zurückdenke, möchte ich denjenigen, der dafür verantwortlich war, aus seinem Ruhestand zerren und verklagen.

Damit wären wir übrigens auch an einem Punkt, der einem erst mit der Zeit bewusst wird. Denn Apple führt regelmäßig vermeintlich bequeme Funktionen und Programme ein, die es einige Jahre später gerne auch mal wieder klammheimlich einstellt. Denken wir nur an das Dashboard. Oder Aperture. Oder iWeb. Falls das noch irgendwer kennt. Und wer seinen Workflow nun auf diese Software hin ausgerichtet hatte, der schaute nach einem mehr oder weniger erzwungenen Update in die Röhre und musste sich wieder umorientieren.

Wenn man dieses Spielchen ein paar Mal mitgemacht hat, hat man irgendwann keinen Bock mehr darauf und verlässt sich eben nur noch auf Funktionen, die vermutlich immer, oder zumindest in der eigenen Lebenszeit, da sein werden: Das native Dateisystem, ein Webbrowser und altbewährte Tastenkombinationen. So minimiert man das Risiko, sich ständig umgewöhnen zu müssen. Und der wichtigste Punkt ist: Es funktioniert.

Auf Luxusdetails wie transparente Fenster, nach Tageszeit wechselnde Wallpaper oder dass Siri einen daran erinnert, dass man seinen fetten Arsch doch zumindest einmal für ein paar Minuten aus dem viel zu teuren Schreibtischstuhl heben soll, achtet man mit der Zeit sowieso nicht mehr. Je weniger visueller Schnickschnack zwischen mir und dem Erledigen meiner Aufgaben steht, desto besser. Weil der ganze Scheiß nur unnötig Zeit, Platz und Energie verbraucht.

Die einzige Opulenz, die ich mir gönne, ist die, dass das Erscheinungsbild automatisch in den Dunkelmodus wechselt, wenn die Sonne untergeht. Weil das irgendwie ganz nice ist und ich so überprüfen kann, ob mein Blog korrekt funktioniert. Der hat schließlich seit Neuestem einen automatischen Dark Mode sowie Light Mode.

Falls das jetzt jemand übrigens falsch verstehen sollte: Ich habe diesen Text nicht geschrieben, um mit meiner zweifellos überlegenen Persönlichkeit anzugeben oder weil ich stolz darauf wäre, so zu ticken. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass irgendetwas in mir komplett schief läuft, wenn es mich schon von der Konzentration abhält, nur weil ich ein Icon in der Menüleiste nicht ausblenden kann oder weil ein Programm lediglich im Fenstermodus läuft. Das ist nicht normal.

Ich wäre auch gerne jemand, dem es scheißegal ist, dass sein Laptop in tausend Farben leuchtet, die Icons im Dock die Größe von Kreuzfahrtschiffen haben und Fenster planlos über den viel zu gering aufgelösten Bildschirm verteilt sind, während jedes einzelne von ihnen mit drei bis sieben Symbol- und Seitenleisten vollgestopft ist. Weil diese Menschen Besseres zu tun haben, als zu versuchen, so viel wie nur irgendwie möglich auf ihrem Computer zu deaktivieren, bevor das Teil einfach nicht mehr angeht.

Aber von diesem normalen Leben habe ich mich bereits so weit entfernt, dass selbst der Gedanke an ein Hintergrundbild, das nicht einfach nur aus einer schwarzen Farbe besteht, mich wahnsinnig macht. Denn eines ist sicher: Wenn man erst einmal damit anfängt, nach und nach Dinge, die einen stören, auszublenden oder zu deaktivieren, endet man, falls man nicht aufpasst, irgendwann einmal so wie ich. Garantiert.

Vielleicht haben meine Kommilitoninnen ja recht. Nicht nur damit, dass ich ein Boomer bin. Das weiß ich selbst. Sondern damit, dass man mich schon vor langer Zeit hätte einweisen sollen - aus diversen Gründen. Aber jetzt ist es zu spät dafür. Jetzt besteht meine einzige Aussicht auf Seelenfrieden aus der Gewissheit, dass es in der Hölle keine MacBooks gibt. Hoffentlich.

Montag, der 20. März 2023

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