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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Processing: Programmieren für Anfänger
© Dall-E

ProcessingProgrammieren für Anfänger

Manche von euch mögen sich vielleicht gefragt haben, warum die Tagline meines Blogs Philosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur lautet, obwohl bislang genau null Artikel über Informatik darauf erschienen sind. Die Erklärung dafür ist gleichermaßen einfach und peinlich: Weil ich erstens vorhatte, die theoretischen Themen, die ich in meinem Studium der Interaktiven Medien behandeln würde, aufzuarbeiten und zu veröffentlichen, um sie so besser lernen und verstehen zu können. Was sehr klug ist. Und ich die Umsetzung dieses famosen Plans zweitens so lange vor mir hergeschobenen habe, dass das erste Semester plötzlich vorbei war. Tja.

Aber aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Oder umgekehrt. Eine unbequeme Wahrheit habe ich in meinem Studium tatsächlich bereits schmerzlich erfahren: Dass ich mit meinem eigenwilligen Stil des chaotischen Programmierens hier nicht besonders weit komme. Denn so lange an dem Code herumzubasteln, bis er auf magische Art und Weise plötzlich funktioniert, kommt in der Theorie nicht besonders gut an. Hier zählen Wissen, Können und die mentale, vorausschauende Problembewältigung. Drei Punkte, die ich in meiner bisherigen, nennen wir es mal grob, Karriere vehement ignoriert habe - und diese Entscheidung fällt mir nun wie ein nasser Sack Steine auf die Füße.

Im Grunde muss ich in Sachen Programmierung also bei Null anfangen und den Drang, in plötzlichen Augenblicken aus meinem Topf des kontinuierlichen Halbwissens zu schöpfen, gekonnt ignorieren. Denn der suspekte Inhalt dieses Topfs ist nicht nur eine ziemlich wässrige Suppe, nein, er schmeckt auch noch scheiße. Das soll es übrigens für heute mit den äußerst fragwürdigen Metaphern gewesen sein. Versprochen.

Um uns den Einstieg in das Programmieren so einfach wie möglich zu gestalten, setzen mein Professor und die dazugehörige Hochschule auf ein quelloffenes Programm namens Processing. Es basiert auf Java und soll den Nutzern ein simplifiziertes Verständnis der objektorientierten Programmiersprache bieten, in dem es stark typisiert arbeitet und sich auf die Einsatzbereiche Grafik, Simulation und Animation spezialisiert.

Im Jahr 2021 feierten wir den zwanzigsten Jahrestag der ersten Veröffentlichung der Processing-Software, erzählen die beiden zuständigen Entwickler Ben Fry und Casey Reas. In dieser Zeit haben wir die Softwarekompetenz, insbesondere in der bildenden Kunst, und die visuelle Kompetenz in der Technologie gefördert. Ursprünglich als Softwareskizzenbuch und zur Vermittlung von Programmiergrundlagen in einem visuellen Kontext entwickelt, hat sich Processing auch zu einem Entwicklungswerkzeug für Profis entwickelt.

Processing ist nach wie vor eine Alternative zu proprietären Software-Tools mit restriktiven und teuren Lizenzen, die es Schulen und einzelnen Schülern zugänglich macht, erörtern die beiden einen großen Vorteil ihres Programms. Der freie und quelloffene Status von Processing fördert die Beteiligung der Gemeinschaft und die Zusammenarbeit, die für das Wachstum der Software unerlässlich ist. Mitwirkende teilen Programme, tragen Code bei und erstellen Bibliotheken, Werkzeuge und Modi, um die Möglichkeiten der Software zu erweitern. Die Processing-Community hat mehr als hundert Bibliotheken für Computer Vision, Datenvisualisierung, Musikkomposition, Netzwerke, 3D-Dateiexport und Elektronikprogrammierung geschrieben.

Processing wurde von Anfang an so konzipiert, dass es für Anfänger so einfach wie möglich ist, wohl wissend, dass auch erfahrene Benutzer von seiner Einfachheit profitieren würden, so Ben und Casey. Inspiriert wurde es von der Unmittelbarkeit früherer Sprachen wie BASIC und Logo sowie von unseren Erfahrungen beim Erlernen des Programmierens und beim Unterrichten von Programmieren in einem breiten Spektrum von Bereichen. Die gleichen Elemente, die in einem Informatikkurs für Anfänger in der Schule oder an der Universität gelehrt werden, werden in Processing gelehrt, jedoch mit einem anderen Schwerpunkt. Da der Schwerpunkt auf der Erstellung visueller, interaktiver Medien liegt, finden Schüler, die neu im Programmieren sind, es toll, etwas auf ihrem Bildschirm erscheinen zu lassen, sobald sie die Software benutzen. Dieser motivierende Lehrplan hat sich als erfolgreich erwiesen, wenn es darum geht, Design-, Kunst- und Architekturstudenten an das Programmieren heranzuführen und die breitere Schülerschaft für den allgemeinen Informatikunterricht zu begeistern.

Processing wird weltweit in Klassenzimmern eingesetzt, häufig in Kunstschulen und Kursen für visuelle Künste an Universitäten, aber auch in Gymnasien, Informatikprogrammen und geisteswissenschaftlichen Lehrplänen ist es häufig zu finden, berichten die beiden stolz. In einer von der National Science Foundation geförderten Umfrage gaben die Studenten eines mit Processing unterrichteten Einführungskurses für Informatik am Bryn Mawr College an, dass sie mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit einen weiteren Informatikkurs belegen würden wie die Studenten eines Kurses mit einem traditionelleren Lehrplan. Der Processing-Ansatz wurde mit den Projekten Wiring und Arduino auch auf die Elektronik übertragen. Diese Projekte verwenden eine modifizierte Version der Processing-Programmierumgebung, um den Schülerinnen und Schülern das Programmieren von Robotern und unzähligen anderen elektronischen Projekten zu erleichtern.

Die Processing-Software wird von Tausenden von visuellen Designern, Künstlern und Architekten verwendet, um ihre Werke zu erstellen, erzählen Ben und Casey sichtlich stolz. Museen wie das Exploratorium in San Francisco verwenden Processing für die Entwicklung ihrer Ausstellungen. Projekte, die mit Processing erstellt wurden, sind im Museum of Modern Art in New York, im Victoria and Albert Museum in London, im Centre Georges Pompidou in Paris und an vielen anderen prominenten Orten zu sehen. Processing wird verwendet, um projizierte Bühnenbilder für Tanz- und Musikaufführungen zu erstellen, um Bilder für Musikvideos und Filme zu generieren, um Bilder für Poster, Zeitschriften und Bücher zu exportieren und um interaktive Installationen in Galerien, Museen und auf der Straße zu erstellen. Aber das Wichtigste an Processing und Kultur sind nicht die öffentlichkeitswirksamen Ergebnisse - es ist die Art und Weise, wie die Software eine neue Generation von bildenden Künstlern dazu gebracht hat, das Programmieren als einen wesentlichen Teil ihrer kreativen Praxis zu betrachten.

Wir haben die Processing Foundation im Jahr 2012 gegründet, um unsere Softwareentwicklung zu unterstützen und Menschen aller Interessen und Hintergründe in die Lage zu versetzen, zu lernen, wie man programmiert und mit Code kreativ arbeitet, vor allem diejenigen, die sonst keinen Zugang zu diesen Werkzeugen und Ressourcen haben könnten, führen die beiden weiter aus. Wir tun dies, indem wir eine Gruppe verwandter Software-Projekte entwickeln und verbreiten und Partnerschaften und Kooperationen mit verwandten Organisationen und Einzelpersonen erleichtern, um eine vielfältigere Gemeinschaft rund um Software und Kunst aufzubauen. Weitere Informationen über die Stiftung finden Sie auf der Website der Processing Foundation.

Als wir im Frühjahr 2001 mit Processing begannen, waren wir beide Studenten am MIT Media Lab in John Maedas Forschungsgruppe für Ästhetik und Computation, resümieren Ben Fry und Casey Reas ihren Werdegang. Wir setzten die Entwicklung in unserer Freizeit fort, während Casey seine Kunst- und Lehrkarriere verfolgte und Ben einen Doktortitel anstrebte und Fathom Information Design gründete. Viele der Ideen in Processing gehen auf Muriel Coopers Visual Language Workshop zurück, und es entstand direkt aus Maedas Projekt Design By Numbers, das am Media Lab entwickelt und 1999 veröffentlicht wurde.

Wahrscheinlich haben Ben und Casey nicht vorausahnen können, welchen Impact ihr Programm in der Bildung haben würde, als sie Processing vor über zwanzig Jahren entwickelten. Heute hilft es Millionen von Schülern, Studenten und Menschen, die einfach nur Programmieren lernen wollen, Logiken zu verstehen, Befehle anzuwenden und Code zu schreiben - und das auf eine so zugängliche Art und Weise, dass sogar ich damit klar komme. Zumindest meistens.

Dienstag, der 7. Februar 2023

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