Schreiben als Beruf: Ich bin Blogger, gib mir Geld!
Marcel Winatschek
Eine nagelneue schwarze Handtasche. Wert: Um die siebzig Euro. Wie kann das sein, fragt sie sich - sie hatte doch gar nichts bestellt. Eine weiße Karte lüftet das Geheimnis: "Ein kleines Dankeschön dafür, dass du so einen tollen Blog hast!", steht dort per Hand geschrieben. Nina freut sich, ach wie nett. Innerhalb von zwei Stunden hat sie Fotos von sich und der Tasche in ihrem hell eingerichteten Zimmer gemacht und diese mitsamt Link zum Hersteller ins Inte…

Schreiben als BerufIch bin Blogger, gib mir Geld!
Eine nagelneue schwarze Handtasche. Wert: Um die siebzig Euro. Wie kann das sein, fragt sie sich - sie hatte doch gar nichts bestellt. Eine weiße Karte lüftet das Geheimnis: "Ein kleines Dankeschön dafür, dass du so einen tollen Blog hast!", steht dort per Hand geschrieben. Nina freut sich, ach wie nett. Innerhalb von zwei Stunden hat sie Fotos von sich und der Tasche in ihrem hell eingerichteten Zimmer gemacht und diese mitsamt Link zum Hersteller ins Internet gestellt. Ein Gewinn für beide Seiten? Nicht wirklich.
Es dauert nicht lange, bis Nina in einer kleinen Excel-Datei landen wird, erstellt von einer Angestellten der Agentur, die ihr die Tasche zugeschickt hat. Dass sie einen Blogpost für ein Werbegeschenk über siebzig Euro veröffentlicht, wird dort stehen. Damit hat sich Nina gerade selbst ihre Bedeutsamkeit und die ihres Herzensprojekts ausgesucht, die sie so schnell nicht positiv verändern wird. Die Frage, ob sich die ambitionierte Bloggerin gerade weit unter Wert verkauft hat, beantwortet sich schon fast von selbst.
Seit einigen Jahren lebe ich nun vom Bloggen. Ich kann damit meine Miete bezahlen, mein Essen, Bücher, Filme, Musik, Zeitungen, Videospiele - und all die Ereignisse, für die Berlin eben so Geld verlangt. Allzu schwer ist das nicht, man muss nur ein paar einfache Regeln befolgen, die ich durch Erfahrung gelernt habe, und an die ich mich halte. Jedenfalls meistens. Welche das sind, möchte ich euch an dieser Stelle mitteilen.
Blogs gibt es wie Sand am Meer. Modeblogs, Techblogs, Politblogs, Filmblogs, Privatblogs. Blogs über Autos, über Essen, über Reisen, über Musik, über Städte - ja sogar über Tampons, Vampire und Bastelutensilien. Nicht zu vergessen die zahlreichen BuzzFeed- und Reddit-Kopien. Wer mit dem Bloggen Geld verdienen möchte, der darf keinen Blog haben - er muss eine Instanz werden!
Seiten wie Nerdcore, Stil in Berlin oder Journelles gibt es überall, in allen Varianten, in allen Formen, in allen Abstufungen des Erfolgs. Aber warum werden gerade sie so ausgezeichnet, gebucht und besucht? Weil sie es durch eine wiedererkennbare Persönlichkeit, harte Arbeit und ein spezielles Themengebiet geschafft haben, aus der Masse der Blogspot-Neulinge und WordPress-Versteher herauszustechen und so die Anlaufstelle für viele interessierte Besucher und damit auch Werbetreibende zu werden.
Auch das zu schaffen, ist nicht besonders schwierig. Ihr müsst euch lediglich darüber im Klaren sein, was eure Stärken sind und für was ihr euch interessiert. Seid ihr in irgendeiner Form außergewöhnlich? Dann schreibt über euch und was ihr erlebt - wie Sara! Seht ihr wahnsinnig gut aus? Dann überhäuft eure Besucher mit Fotos von euch - wie Kenza! Lebt ihr für ein einziges Thema und möchtet die Welt da draußen daran teilhaben lassen? Dann macht dieses Thema zu eurer digitalen Leidenschaft - wie Christine! Oder Matthias. Oder Nike und Sarah.
In der deutschen und internationalen Blogszene ist nichts wichtiger als ein starkes Image, um sich einen Namen zwischen all den Jessies, Annas und MC Winkels zu machen. Bastelt aus euren Stärken, Leidenschaften und auch aus euren Schwächen ein digitales Ich zusammen, das das Potential besitzt, geliebt, gehasst und gekannt zu werden. Ihr müsst eure Standpunkte haben - und diese auch verbal durchsetzen können.
Stellt euch selbst in den Mittelpunkt und vermarktet euch, ohne überheblich oder eingebildet zu wirken. Vorausgesetzt natürlich, dass nicht genau das euer ausgesuchtes Image ist. Das digitale Arschloch funktioniert genauso gut wie das hübsche Modemädchen mit Wiedererkennungswert. Durch das Internet habt ihr die Möglichkeit, euch neu zu erfinden - aber nur solange ihr euch selbst treu bleibt.
Das Schlimmste, was euch passieren kann, ist nicht beachtet zu werden. Wer langweilige Blogposts mit einer nicht greifbaren Persönlichkeit vermischt, der darf sich nicht wundern, warum er nach allen Regeln der Kunst übergangen wird. Agenturen buchen lediglich die Superstars eines Genres - oder diejenigen, die erfolgreich so tun als wären sie welche.
Agenturangestellte merken schnell, ob ihr etwas langsam im Kopf seid und sie euch somit ausnutzen können. Wer keine korrekte Groß- und Kleinschreibung beherrscht, "LOL" und "ROFL" im alltäglichen Kommunikationsverkehr verwendet und Fachbegriffe wie TKP, Expandable Super Banner oder Unique Visitors nicht kennt, der hat quasi schon verloren. Steigt ihr mit Vermarktern und Kunden in den Ring, müsst ihr diese Begriffe im Schlaf beherrschen - oder so charismatisch, oder erfolgreich, sein, dass man euch diese Wissenslücken verzeiht.
Erstellt ein ausführliches, aber knackiges Media Kit mit InDesign, das ihr potentiellen Geldgebern zukommen lassen könnt. Was steht da drin? Eine kleine Zusammenfassung über die Geschichte eures Blogs, eine genau Eingrenzung der Zielgruppe (Alter, Themen, Geschlecht...) und eure Besucherzahlen sowie die Reichweite eurer Social-Media-Kanäle. Dazu ein paar Bilder, eure Kontaktinformationen und eine kleine Auflistung, mit welchen Firmen ihr bereits zusammen gearbeitet habt. Verpackt alles in einem schönen Design - voilà!
Vergesst bei dem ganzen professionellen Getue nicht, ihr selbst zu bleiben. Niemand ist den ganzen Tag lang ein effektiver Roboter. Seid sympathisch, witzig, aber verwechselt die Menschen, die in den Agenturen arbeiten - und die ihr bei längerer Zusammenarbeit näher kennen lernen werdet - nicht mit euren Freunden. Geht es ums Geschäft, dann müsst ihr charmant, aber bestimmend sein. Sie wollen, dass ihr über ein Produkt oder eine Dienstleistung schreibt - und ihr wollt Geld. Ganz einfach.
Viel zu oft musste ich schon mit ansehen, dass aufstrebende Blogger ihre digitalen Lieblinge mit Werbung tapezieren, obwohl sie im Gegenzug dafür ein Geschenk, einen Gutschein oder oft nur ein leeres Versprechen auf eine baldige Zusammenarbeit bekommen haben.
Viele freuen sich allein schon über die Tatsache, dass Agenturen und Labels auf sie aufmerksam wurden und merken gar nicht, dass sie nichts weiter als eine Adresse in einer ellenlangen, unpersönlichen Auflistung sind, die irgendein armer und übermüdeter Praktikant erstellt hat.
Der Grundsatz lautet: Wer euch für seine kommerziellen Zwecke nutzen will, der muss euch dafür auch etwas zahlen. Denn schließlich rechnen Agenturen jeden Artikel und jeden Link in bare Münze um. Die Frage, wie viel ihr denn nun verlangen sollt, ist nicht immer einfach zu beantworten.
Einige Blogs wünschen sich nur 200 Euro, andere 1500 - oder sogar mehr - für einen einzigen Post. Ob sie das allerdings bekommen, ist eine ganz andere Frage. Ungefähr gilt: Seid ihr klein, nehmt 290 Euro pro Artikel! Seid ihr mittelgroß, verlangt 490 Euro! Seid ihr groß, verlangt 890 Euro! Oder mehr.
Links auf eurem Facebook- oder Twitter-Profil kosten extra. Produkte, die nicht zu eurer Zielgruppe passen, solltet ihr ablehnen. Auch wenn eine Menge Geld dahinter steckt. Bei einigen Anfragen könnt ihr mehr Geld verlangen, wenn ihr das Gefühl habt, dass ihr ihnen das wert seid.
Wer mehrere Artikel auf einmal bucht, bekommt einen Mengenrabatt. Dasselbe gilt bei Agenturen, die euch mehrmals im Monat buchen. Auch ihnen könnt ihr ab und zu einen Gefallen im Sinn von Ermäßigungen geben - aber lasst euch nicht ausnutzen und zum Dauersonderangebot degradieren! Natürlich könnt ihr ab und zu auch über Produkte und Reisen umsonst schreiben, solange ihr sie wirklich selbst toll findet. Sonst nicht.
In aller Regel gilt: Umso mehr Zeit und Arbeit ihr in euren Blog steckt umso mehr Erfolg wird er haben. Natürlich ist das nur der Fall, wenn er eine reelle Chance besitzt, dass sich andere für ihn und auch euch interessieren.
Ist das Thema so fernab jeglicher Realität und seid ihr, Pardon, langweilig und zu einfach gestrickt, dann wird die große Bloggerreise für euch ungefähr denselben Erfahrungswert haben wie der Versuch, eine Betonmauer mit eurem Kopf zu durchstoßen. Ihr könnt aber immer noch Gemüse anbauen. Oder "Let's Plays" auf YouTube hochladen.
Auch wenn ihr am Anfang noch kein Geld mit dem Bloggen verdient, so solltet ihr euer eigenes investieren, um einen guten Start hinzulegen. Kauft euch eine eigene Domain und einen eigenen Webspace, aber nur .de oder .com, kauft euch die richtige Software, zum Beispiel Photoshop, Microsoft Office oder Apple iWork, kauft euch die richtige Ausrüstung, zum Beispiel eine Spiegelreflexkamera, ein Smartphone, einen Laptop. Wer einfach, effektiv und gekonnt bloggen möchte, der kommt um die richtigen technischen Freunde nicht herum - egal ob digital oder analog.
Für euren Blog verwendet ihr am besten die Open-Source-Version von WordPress. Fragt einfach euren nerdigen Freund, der seit Jahren heimlich in euch verknallt ist, ob er sie euch auf den gerade gemieteten Webspace installiert. Er macht das gerne. Kauft euch anschließend ein tolles Theme auf ThemeForest und ändert es nach euren Wünschen ab - zum Beispiel mit eigenen Bildern, anderen Farben, neuen Funktionen. Nur wer ein individuelles Design hat, wird von Agenturen ernst genommen.
Ich muss hier niemandem mehr erklären, wie wichtig soziale Netzwerke sind, um euren Blog bekannt zu machen und mit euren Besuchern zu interagieren. Auf Facebook und Feedly teilt ihr eure Artikel, auf Twitter "redet" ihr mit Lesern, Kollegen und Freunden, auf Instagram, Snapchat und TikTok postet ihr euer Leben, auf Pinterest und Tumblr veröffentlicht ihr eure bildlichen Fundstücke und mischt Fotos eures eigenen Blogs dazwischen, YouTube verwendet ihr als Besuchermultiplikator - wenn ihr denn in Videos genauso ansprechend wie in euren Texten wirkt.
Leider ist es immer noch so, dass sich Agenturen wenig darum scheren, wer zu euren Followern und Fans gehört, einzig und allein eine hohe Nummer öffnet euch den Weg zu Buchungen. Grundsatz: Je höher die Zahl, desto mehr Geld könnt ihr verlangen. Also tut alles, um diesen Wert nach oben zu treiben! Interagiert höflich und gekonnt mit eurem Publikum, seid aber auch mal frech und - ganz wichtig - menschlich!
Doch nicht nur mit euren Seitenaufrufenden solltet ihr sozial umgehen, auch mit den Vertretern von Agenturen und Firmen müsst ihr eine ständige Kommunikation am Laufen halten. Trefft euch zum Lunch, auf der re:publica, auf Partys. In der Branche bekannte Gesichter haben kein Problem mehr damit, ihren Blog zu monetarisieren und weitere Türen in andere Bereiche der Medienbranche zu öffnen.
Natürlich halte auch ich mich nicht immer an alle Regeln. Manchmal beantworte ich keine Mails, weil ich lieber ein Glas Wein trinke und in "Civilization" vertieft bin. Manchmal verlange ich zu wenig Geld für einen Artikel, weil ich die Ansprechpartnerin kenne oder nicht schnell genug überlegt habe. Manchmal vernachlässige ich Social-Media-Kanäle, weil ich eine Sinnkrise habe und mich frage, was das denn eigentlich alles bringen soll.
Aber das ist okay. Wichtig ist nur, dass ihr trotz temporärer Ausfälle das Ziel nicht aus den Augen verliert und selbst herausfindet, was für euch funktioniert - und was nicht. Welche Nische für euch die richtige ist. Welche Sprache ihr verwendet. Ob ihr es als einzelner Blog oder als kollektives Magazin versuchen wollt. Ob ihr nur Fundstücke wiederverwertet oder eigene Inhalte fabriziert. Oder beides.
Nina hat jedenfalls aus ihrem Fehler gelernt. Egal, wie geschmeichelt sie auch von diesem scheinbar so netten Werbegeschenk war, sie weiß, dass dahinter ein kalkulierter Versuch stand, günstig Werbung zu machen und für SEO wichtige Backlinks zu bekommen. Das Internet ist nichts anderes als eine riesige Konsumbranche. Und ihr könnt selbst entscheiden, welche Rolle ihr in diesem Meer aus Blogs, Agenturen und Produkten spielt.
Sonntag, der 22. Februar 2015
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