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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Sprachrohr für Idioten: Kommentare im Internet gehören abgeschafft
© Elizaveta Guba und Icons8

Sprachrohr für IdiotenKommentare im Internet gehören abgeschafft

Ihr wisst, dass ich euch liebe. Wirklich. Jeden Einzelnen von euch. Seit Jahren. Ihr habt das Internet zu dem gemacht, was es heute ist. Mit jedem einzelnen Klick, mit jedem einzelnen Share, mit jeder einzelnen Meinung. Aber trotzdem würde ich dem ein oder anderen von euch am liebsten links und rechts eine mitgeben, wenn er das Kommentarfeld mal wieder dazu benutzt, um sein gescheitertes Leben zu kompensieren.

Ich schreibe einen epischen Text, direkt aus meinem Herzen, mit einem legendären Anfang, hautnahen Erlebnissen, einer wahnsinnig guten Schlussfolgerung und oben drauf gibt’s noch eine gekonnte Rückführung. Und was kommt zurück? "Im dritten Absatz fehlt ein H." Sonst nichts. Nichts darüber, ob euch dieser Text irgendwas gebracht hat, berührt hat, aufgebracht hat. Nein. "Im dritten Absatz fehlt ein H."

Diese Kommentare sind noch viel schlimmer als jedes "Arschloch", "Hurensohn" oder "Schwuchtel". Getoppt werden sie nur noch von "Alt", "Langweilig" und "Gähn". Am besten sind jedoch Menschen, die jedes Thema dazu verwenden, um irgendwie auf ihre eigenen Hassobjekte hinzudeuten. Dass die Juden doch alle vergast gehören, dass die Muslime doch alle zurück in die Türkei geschossen werden sollen, dass Russland das beste Land der Welt ist und wir uns schon bald alle vor Putin verneigen werden.

Traurig denke ich dabei an die Anfangszeiten der deutschen Blogosphäre zurück. Und immer, wenn ich darüber spreche, höre ich mich an wie ein alter Mann. Um uns zu vernetzen, blieb uns nichts anderes übrig, als bei anderen Bloggern zu kommentieren, der gute erste Eindruck zählte. Wer Unsinn schrieb, der wurde ignoriert und konnte seinen digitalen Ruhm vergessen.

Ich liebte die Kommentare. Jeder war etwas ganz Besonderes. Von einem Menschen geschrieben, den man respektierte. Oder schon bald zu seinen Freunden zählen würde. Mit der Hochzeit der sozialen Netzwerke und der Verbreitung des Internets jenseits der Außenseiter, stürmten allerdings schon bald die ersten Trolle auf unsere Seite – und es wurden immer mehr.

Schon seit Jahren lese ich keine Kommentare im Internet mehr. Mir sind Meinungen von Menschen in der echten Welt schon ziemlich egal – warum sollte ich mich dann von wildfremden Idioten im Internet blöd von der Seite anlabern lassen?

Ich war schon sehr oft dafür, die Kommentare einfach komplett abzuschaffen, weil es einfach nichts mehr brachte. Aber Freunde und Kollegen waren sich sicher: Ohne Kommentare kein Meinungsaustausch, ohne Meinungsaustausch keine Klicks, ohne Klicks keine Reichweite, ohne Reichweite kein Geld. Das ist der Teufelskreis des Internets. Und wir sind ein Teil davon.

Ich würde gerne einmal testen, wie es wohl wäre, wenn gleichzeitig alle Webseiten ihre Kommentare schließen würden. Blogs, Facebook, YouTube, Instagram und auch Twitter. Würde sich das digitale Klima zum Besseren verändern? Oder wäre der Meinungs­supergau vorprogrammiert? Alle sprechen immer von Zensur, sobald man einen ätzenden Kommentar löscht, aber eigentlich will ich doch nur in Ruhe mein Ding durchziehen, ohne dass mir gelangweilte Hauptschulabbrecher den Tag vermiesen.

Ihr wisst, dass ich euch liebe. Wirklich. Jeden Einzelnen von euch. Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen einer wild gestikulierenden Masse an dummen Plappermäulern, zwischen der sich hier und dort eine hilfreiche Meinung verbirgt, oder einer friedlichen Wand der Stille – ich würde mich wohl für die Wand entscheiden. Zehn Jahre idiotische Gegenstimmen mitsamt Rechtschreibfehlern, Themaverfehlungen und Hetzereien sind genug für mich. Ganz nach dem Motto "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!"

Freitag, der 8. Januar 2016

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