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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Zieh dich aus! Nacktfotos im Internet
© Clip und Icons8

Zieh dich aus!Nacktfotos im Internet

Hose runter, Beine breit, Foto gemacht - und gesendet. Noch nie war es so einfach wie heute, Menschen auf der anderen Seite der Leitung glücklich zu machen - oder zu schockieren. Abhängig davon, wer der hoffentlich nicht allzu ahnungslose Empfänger ist, und was verschickt wurde. Vaginen, Brüste, Penisse - oh ja, jede Menge Penisse. Kleine und große, krumme und gerade.

Dem Smartphone sei Dank teilen pubertierende Chaoten und alle drumherum ihre intimsten Körperstellen mit Menschen, die sie womöglich erst seit ein paar Minuten kennen. Gegen Geld. Oder einfach so. Weil der Freund quengelt oder das Mädchen Zwinkersmileys verschickt, bei Tag und bei Nacht. Hauptsache die Auflösung ist gut und das Motiv noch besser.

Momentan gibt es genau drei Menschen auf diesem Planeten, die ein Foto von meinem Penis besitzen - und wissen, wer genau daran hängt. Eine Schokoladenkuchen liebende Studentin aus Stuttgart. Eine Extremsportarten betreibende Zahnarzthelferin aus München. Und eine Mathematik hassende Designerin aus Berlin. Und es ist mir vollkommen egal. Schließlich habe ich dafür auch etwas als Gegenleistung bekommen. Einiges. Und darauf kommt es schließlich bei der ganzen Sache an.

Deine Schwester macht es. Dein Lehrer macht es. Deine Eltern machen es. Sogar Hollywood-Stars machen es. Natürlich verbietet es einem die Logik, sich die Klamotten vom Leib zu reißen und Fotos von seinen entblößten Genitalien zu machen. Wenn die an die Öffentlichkeit gelangen, ist schließlich eure Karriere bei der Bank vorbei. Und eure Schulkameraden liegen vor Lachen auf dem Boden. Und euer Nachbar onaniert dazu, bis er ohnmächtig, leer und einem Herzinfarkt nahe ist.

Aber womöglich liegt genau hier der Fehler. Wir alle haben einen Körper und wir alle wissen das. Und niemand ist so richtig zufrieden mit dem Teil. Wir sind zu fett oder zu dünn, haben hier Pickel und dort Haare, hier Ausschlag und dort Narben. Wir alle masturbieren oder onanieren oder probieren gerne Dinge aus, die so nicht mal in der Bravo gestanden hätten.

Warum sollte also das Leben eines Menschen schlagartig vorbei sein, nur weil eine Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangte, die von vornherein klar war: Nämlich dass wir Menschen sind. Mit Körpern. Und Fehlern. Die eine knappe Hälfte hat einen Penis. Die andere eine Vagina. Und manche sogar beides. Wir haben Sex. Mit anderen Angehörigen unserer Spezies. Oder mit uns selbst. Oder mit tauglichen Alltagsgegenständen. Jede Menge. Das sind doch nun wirklich keine bahnbrechenden Neuigkeiten.

Und selbst wenn aus unerfindlichen Gründen Videos von euch auf den Handys eurer Freunde landen, wie ihr mit riesigen Auberginen in euren Körperöffnungen die Nationalhymne von Aserbaidschan steppt und euch dabei mit abgelaufenem Joghurt einsaut, dann ist jeder, der darüber lacht oder euch ein baldiges Ende wünscht, einfach ein verklemmtes Arschloch, das es niemals über die Missionarsstellung in einem dunklen Raum hinausschaffen wird. Wenn überhaupt.

Es ist vollkommen egal, ob ihr intime Fotos an euren langjährigen Freund schickt oder euch in irgendwelchen Massenchatrooms fingernd vor die Kamera setzt - seid euch ständig im Klaren darüber, dass diese Aufnahmen immer auftauchen könnten. Irgendwo. Irgendwann. Wenn sie nicht absichtlich veröffentlicht werden, dann eben durch einen weiteren Hack oder einen notgeilen Geheimdienstmitarbeiter oder eine eifersüchtige Freundin - oder auch durch pures Versehen.

Falls ihr das partout nicht wollt, dann lasst eure Klamotten lieber an und das iPhone in der Tasche. Allen anderen können wir hier sowieso erzählen, was auch immer wir wollen. Während wir nämlich gerade so nett am Plaudern sind, wechseln abertausende Bilder von entblößten Geschlechtsteilen die Besitzer. Und das ist auch gut so. Deine Schwester macht es. Dein Lehrer macht es. Deine Eltern machen es. Und du machst es auch. Hose runter, Beine breit, Foto gemacht - und gesendet!

Dienstag, der 22. November 2016

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