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Marcel WinatschekPhilosophische Texte über Gestaltung, Informatik und digitale Populärkultur
Die moderne Ernährung: Fleisch ist auch nicht mehr das, was es mal war
© Izzuddin Azzam

Die moderne ErnährungFleisch ist auch nicht mehr das, was es mal war

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, warum ich in den vergangenen Wochen weniger Fleisch gegessen habe. Und wenn ich sage weniger, dann meine ich tatsächlich viel weniger. Es hat sich einfach so ergeben. In der Mensa gab es mittags immer eine Portion Pommes mit Ketchup und Majo für 'nen Euro, das hat mir eben gereicht. Im Rewe hab ich aus Neugier mal eine Packung vegane Salami mitgehen lassen, die war eigentlich ganz gut. Und zum Käsebrot ein bisschen Avocado, Hummus oder Essiggurken: Beste.

Mir geht es bei meiner neu entdeckten Fleischreduktion nicht um die Gesundheit, das Klima, den Geschmack, die Kultur oder gar die Tiere. Sollen die Viecher doch zerhackstückelt werden. Am besten schnell und effizient. Warum wollen eigentlich immer alle nur glückliche Tiere essen? Die unglücklichen wären es doch viel eher wert, aus dem Leben gerissen zu werden. Dann haben sie's wenigstens hinter sich.

Mir würden höchstens drei Gründe einfallen, warum ich nicht wie ein psychopathischer Patrick den ganzen Tag lang an saftig glühende Spanferkel, voll bepackte Mettbrötchen und frisch abgemetzelte, gegrillte Ochsen denken muss, nur weil ich einen Tag lang lediglich Obst, Gemüse und Getreide in mich hinein gestopft habe.

Erstens: Es ist mir scheißegal, was ich esse. Ich bin in Sachen Ernährung längst an einem erlösenden Punkt angelangt, an dem im Mittelpunkt Kaffee steht und alles andere zweit- bis siebtrangig ist. Ob ich mir jetzt ein Kalbsschnitzel in meinen Mund schiebe oder irgendeine auf Sojaweizenbohnenmatsch basierende Alternativpampe: I don't give a fuck. Solange ich mich davon nicht übergeben muss, ist alles gut.

Zweitens: Ich fühle mich besser als die anderen. Zumindest heimlich. Wenn ich an der Kasse den veganen Aufschnitt aufs Band lege und der Typ hinter mir sein halbes Kilo gemischtes Hack für 2,99 Euro, dann denke ich mir, dass ich der modernere Mensch von uns beiden bin. Natürlich sage ich ihm das nicht. Aber ich lasse es ihn wissen, indem ich den in Scheiben übereinander gelegten, ranzigen Sonnenblumenkernbrei mit Gemüsefetzen darin so optimal platziere, dass er lesen kann, was da in großen Buchstaben unter dem Rewe-Logo geschrieben steht: Ich bin besser als du!

Drittens: Ich bin ein Mitläufer. Und wahrscheinlich ist das der allerwichtigste Grund von allen. Man muss mir gewisse Dinge nur oft genug sagen, irgendwann glaube ich sie eben. Wenn ich mir mehr oder weniger geheime Aufnahmen von irgendwelchen Schlachthöfen in Dunkeldeutschland anschaue, in denen Hühner zertreten, Ferkel kastriert und Kühe misshandelt werden, dann hat das höchstens kurzzeitige Auswirkungen auf mich. Aber je öfter man sowas mitbekommt, desto mehr denkt man sich: Ist ja gut, dann sollen ab jetzt lieber mehr Gurken, Tomaten und Kartoffeln leiden, ich hab's ja verstanden.

Vor einigen Jahren habe ich einmal einen literarisch wahnsinnig wichtigen Text mit dem fulminanten Titel Vegetarier, fickt euch! Fleisch ist zum Essen da verfasst, in dem ich meine Lust auf tote Tiere vehement verteidigt habe. Und wenn ich mir dieses, man kann es nicht anders nennen, philosophische Meisterwerk so durchlese, dann stehe ich eigentlich auch weiterhin zu allem, was ich damals geschrieben habe. Besonders die ersten drei Worte der Überschrift liegen mir immer noch sehr am Herzen.

Aber ich habe in den vergangenen Monaten gelernt, dass es überaus wichtig ist, auch mal etwas Neues auszuprobieren und erst dann zu entscheiden, ob man diesen Weg weiterhin gehen möchte - oder eben nicht. Wir leben schließlich in einer Zeit, die durch ihre unzähligen Möglichkeiten oft überfordernd und dadurch ebenso deprimierend erscheint, aber andererseits wurde es uns auch nie leichter gemacht, einfach mal etwas anderes zu wagen und dadurch einen anderen Blick auf die Welt, die Gesellschaft und, hoffentlich, auch auf sich selbst zu entwickeln.

Bevor mich jetzt übrigens irgendwelche militanten Vegetarier oder gar, Gott bewahre, Veganer dafür feiern, dass ich quasi der erste Mensch auf diesem Planeten bin, der seinen Fleischkonsum zumindest etwas reduziert hat, möchte ich noch etwas klarstellen. Denn ich habe bei diesem neu entdeckten Lebensgefühl drei mehr als wichtige Regeln, an die ich mich geradezu rigoros zu halten pflege.

Erstens kaufe ich zwar aktiv kein Fleisch und keine Wurst, die aus Rindern, Schweinen, Hühnern, Puten oder, was weiß ich, Affen erzeugt wurden. Aber ich esse diese Produkte, wenn sie mir irgendwo angeboten werden. Zum Beispiel, wenn Leute mich zum Essen einladen. Der Grund dafür ist, dass ein bisschen Fleisch nicht schaden kann. Womöglich um irgendeinem ominösen Ernährungsmangel vorzubeugen. Außerdem gehe ich davon aus, dass dieses Fleisch, in Restaurants oder bei Leuten zu Hause, von hochwertigerer Qualität ist, als wenn ich mir 'nen Beutel tiefgekühlte Chicken McNuggets beim Lidl hole.

Zweitens: Ich bin kein Veganer. Egal ob Milch, Käse, Butter, Joghurt, Eier, Honig oder was auch immer man sonst so aus dem Getier herauspressen kann: Es landet in meinem Mund. Ich habe keine Lust, auf achtzig Prozent aller Lebensmittel zu verzichten, nur weil, warum auch immer, Milchproteine darin enthalten sind, sie durch irgendwelche Fischblasen gefiltert wurden oder mal ein Hühnerei daran vorbei geflogen ist. Irgendwo ist auch mal gut. So viel Boomermentalität muss sein.

Drittens: Ich esse Fisch. Ha! Da guckt ihr. Ich liebe Fisch. Lachs, Zander, Dorade, Forelle, Heilbutt, Hering, Scampi, Thunfisch, Muscheln, Krabben, Aal, Tintenfisch, Dorsch, Makrele, Scholle, Austern, Garnelen, Sardinen. Was auch immer im Meer herum kreucht und fleucht, ich werde es finden, fangen und auf der Stelle inhalieren. Und ihr könnt mir jetzt noch so viele Links zu irgendwelchen pseudoskandalösen Dokumentationen schicken, in denen siebzigtausend Fische den Rest ihres Lebens in ein Regenfass gequetscht verbringen müssen, nur damit ich die dann aufs Sushi klatschen kann: Ich kehre nicht.

Während ich diesen Text schreibe, stopfe ich gerade ein Käsebrot mit der letzten veganen Salamischeibe, die noch irgendwo zu Hause herum lag, in mich hinein und finde einfach keinen Grund, warum ich stattdessen die mit Kühen, Schweinen oder Pferden darin hätte kaufen sollen. Vielleicht ist das aber auch nur der Anfang meiner Reise. Womöglich werde ich mich irgendwann zu einem höheren Wesen entwickeln, das nur noch von Sonne, Luft und Kaffee leben kann. Und wahrscheinlich wäre ich erst dann wirklich zufrieden mit mir und der Welt.

Mittwoch, der 22. Februar 2023

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