Hiragana: Japanisch für Anfänger
Marcel Winatschek
Das zweite Semester steht vor der Tür und damit auch mein nächster obligatorischer Sprachkurs. Da ich mich gleich am Anfang für Japanisch entschieden habe, für was denn auch sonst, und diesen mit einer menschlich kaum zu übertreffenden Note von 1,7 bestanden habe, wir erinnern uns, hat es natürlich Sinn gemacht, diesen auch fortzuführen. Da wir in der nächsten Runde zweifelsfrei das zweite und damit westlich orientierte japanische Basisalphabet Katakana lernen werden…

HiraganaJapanisch für Anfänger
Das zweite Semester steht vor der Tür und damit auch mein nächster obligatorischer Sprachkurs. Da ich mich gleich am Anfang für Japanisch entschieden habe, für was denn auch sonst, und diesen mit einer menschlich kaum zu übertreffenden Note von 1,7 bestanden habe, wir erinnern uns, hat es natürlich Sinn gemacht, diesen auch fortzuführen.
Da wir in der nächsten Runde zweifelsfrei das zweite und damit westlich orientierte japanische Basisalphabet Katakana lernen werden und ich womöglich schon wieder alles vergessen habe, was ich zuvor in mein ständig panisch schreiendes Gehirn gequetscht habe, wiederholen wir doch an dieser Stelle alle gemeinsam den ersten japanischen Zeichensatz namens Hiragana.
Das Wort Hiragana bedeutet wörtlich fließendes oder einfaches Kana und ist quasi der Gegensatz zu den komplexeren Kanji, von denen niemand auf dieser Welt mehr als drei Stück beherrscht, weil sie so unfassbar schwierig zu lernen sind. Hiragana und Katakana sind beides Kanasysteme. Mit wenigen Ausnahmen wird jede Mora in der japanischen Sprache in beiden Systemen durch ein Zeichen, oder einen Digraphen, dargestellt.
Hiragana entwickelte sich aus Man'yōgana, chinesischen Schriftzeichen, die für ihre Aussprache verwendet wurden, eine Praxis, die im 5. Jahrhundert begann. Zu den ältesten Beispielen für Man'yōgana gehört das Inariyama-Schwert, ein Eisenschwert, das im Inariyama Kofun ausgegraben wurde. Es wird angenommen, dass dieses Schwert im Jahr 471 hergestellt wurde.
Die Formen der Hiragana stammen aus der Kursivschrift der chinesischen Kalligraphie. Als Hiragana entwickelt wurde, wurde es nicht von allen akzeptiert. Die Gebildeten oder Eliten zogen es vor, nur das Kanji-System zu verwenden. Historisch gesehen wurde in Japan die normale Schrift, die Kaisho, von Männern verwendet und als Otokode, also Männerschrift, bezeichnet, während die kursive Schrift, die Sōsho, von Frauen verwendet wurde.
Daher wurde Hiragana zuerst bei Frauen populär, die in der Regel nicht den gleichen Bildungsstand wie Männer erreichten, und so wurde Hiragana zuerst von Hofdamen in der persönlichen Kommunikation und in der Literatur verwendet. Daher stammt auch der alternative Name Onnade, also Frauenschrift. So wurde beispielsweise in Die Geschichte von Genji und anderen frühen Romanen weiblicher Autoren weitgehend oder ausschließlich Hiragana verwendet. Selbst heute wird Hiragana noch als weiblich empfunden.
Auch männliche Autoren schrieben Literatur in Hiragana. Hiragana wurde für inoffizielle Schriften wie persönliche Briefe verwendet, während Katakana und Chinesisch für offizielle Dokumente genutzt wurden. In der Neuzeit hat sich die Verwendung von Hiragana mit Katakana vermischt.
Katakana wird heute nur noch für besondere Zwecke verwendet, zum Beispiel für neu entlehnte Wörter, die seit dem 19. Jahrhundert Einzug in den japanischen Sprachgebrauch hielten, Namen in Transliteration, Tiernamen, in Telegrammen und zur Betonung.
Ursprünglich gab es für alle Silben mehr als eine mögliche Hiragana. Im Jahr 1900 wurde das System vereinfacht, so dass es für jede Silbe nur noch ein Hiragana gab. Die veralteten Hiragana sind jetzt als Hentaigana bekannt. Das Pangram-Gedicht Iroha-uta, auch als ABC-Lied bekannt, aus dem 10. Jahrhundert verwendet jedes Hiragana einmal - außer ん als N, das vor der Muromachi-Ära nur eine Variante von む, also Mu, war.
Nach der japanischen Schriftreform von 1900, bei der Hunderte von Zeichen als Hentaigana eingestuft wurden, besteht das Hiragana-Silbenbuch aus 48 Grundzeichen, von denen zwei, nämlich das Wi als ゐ und das We als ゑ, nur in einigen Eigennamen verwendet werden. Deshalb muss man sie auch nicht lernen, was sehr praktisch ist.
Es gibt fünf singuläre Vokale. Das A ist あ, das I ist い, das U ist う, das E ist え und das O ist お. Die Reihenfolge dieser Zeichen ist eigentlich egal, aber es empfiehlt sich, sie einzuhalten, weil man dadurch die anderen Hiragana, die in Listen und Tabellen eben genauso angeordnet sind, effektiver lernen kann.
Dann gibt es 42 wahnsinnig aufregende Konsonant-Vokal-Verbindungen. か ist Ka, き ist Ki, く ist Ku, け ist Ke und こ ist Ko. さ ist Sa, し ist Shi, す ist Su, せ ist Se und そ ist So. た ist Ta, ち ist Chi, つ ist Tsu, て ist Te und と ist To. な ist Na, に ist Ni, ぬ ist Nu, ね ist Ne und の ist No.
Weiter geht's. は ist Ha, ひ ist Hi, ふ ist Fu, へ ist He und ほ ist Ho. ま ist Ma, み ist Mi, む ist Mu, め ist Me und も ist Mo. や ist Ya, ゆ ist Yu und よ ist Yo. ら ist Ra, り ist Ri, る ist Ru, れ ist Re und ろ ist Ro. わ ist Wa und を ist Wo. ゐ als Wi und ゑ als We ignorieren wir gekonnt. Und dann gibt es noch das ん als N.
Diese Grundzeichen können auf verschiedene Weise modifiziert werden. Durch Hinzufügen einer Dakuten-Markierung, also eines ゛, wird ein stimmloser Konsonant in einen stimmhaften verwandelt: Aus K wird G, aus Ts und S wird Z, Aus T wird D, aus H wird B und aus Ch und Sh wird J. Zum Beispiel wird か, also Ka, zu が, also Ga. Hiragana, die mit einem H beziehungsweise F beginnen, können auch eine Handakuten-Markierung, also ein ゜, enthalten, die das H, beziehungsweise F, in ein P verwandelt. Zum Beispiel wird は, also Ha, zu ぱ, also Pa.
Eine kleine Version des Hiragana für ゃ, ゅ und ょ, also Ya, Yu und Yo, kann zu Hiragana, die auf I enden, hinzugefügt werden. Dadurch wird der I-Vokal per Palatalisierung zu einem Gleiten. Zum Beispiel wird き, also Ki, plus ゃ, das kleine Ya, zu きゃ, also Kya. Die Addition des kleinen Y wird Yōon genannt.
Ein kleines っ, also Tsu, genannt Sokuon, zeigt an, dass der folgende Konsonant geminiert, also verdoppelt ist. Im Japanischen ist dies ein wichtiger Unterschied in der Aussprache. Es kann jedoch nicht zur Verdoppelung eines N verwendet werden - zu diesem Zweck wird das singuläre ん, also N, vor der Silbe hinzugefügt. Das Sokuon erscheint manchmal auch am Ende von Äußerungen, wo es einen Glottalstopp kennzeichnet. In Hiragana werden lange Vokale in der Regel mit einem zweiten Vokal geschrieben.
Nun können wir die ersten Wörter bilden. Weil wir sehr klug sind. はい ist Hai, also Ja. いいえ ist Iie, also Nein. こんにちは ist Konnichiwa, also Hallo. ありがとう ist Arigatou, also Danke. すみません ist Sumimasen, also Entschuldigung. いぬ ist Inu, also Hund. ねこ ist Neko, also Katze. さかな ist Sakana, also Fisch. すし ist Sushi, also... naja... Sushi eben. ほん ist Hon, also Buch. かわいい ist kawaii, also süß. おいしい ist oishii, also lecker. すごい ist sugoi, also toll. しんぶん ist Shinbun, also Zeitung. ぎゅうにゅう ist Gyūnyū, also Milch. Und ちんちん ist Chinchin, also Penis.
Tatsächlich ist es ziemlich einfach, Wörter vom lateinischen Alphabet in Hiragana zu übersetzen. Schließlich muss man sich nur konsequent an die Zeichentabelle halten. Die beiden größten Probleme sind hierbei die Beachtung der tückischen Sonderregeln sowie die Tatsache, dass einige Wörter eben nicht nach Hiragana, sondern ins westlich orientierte Katakana transferiert werden.
Und wie lernt man Hiragana nun am besten? Zwei Hilfsmittel haben mir geholfen. Erstens: Die gesamte Liste in Anki werfen und sie dadurch so lange auf Bahnfahrten oder bei anderen Wartezeiten wiederholen, bis sie sich ins Gehirn gebrannt haben. Und zweitens: Eselsbrücken nutzen oder sich kleine Geschichten ausdenken, besonders bei Zeichen, die sich ähnlich sehen, so wie た für Ta und な für Na, ぬ für Nu und め für Me oder ね für Ne und れ für Re.
Das Verstehen der Hiragana ist die erste und, sind wir doch mal ehrlich, auch einfachste Hürde, die man nehmen muss, um den Einstieg in die japanische Sprache zu finden. Wenn man sich dann erst einmal an die ersten Kanji, wie 雲 für Wolke, 龍 für Drache oder 鬱 für Melancholie, heranwagt, wird man wahrscheinlich weinend auf das Kindergartenlevel der Hiragana zurückblicken.
Aber über diese deprimierende Zukunft machen wir uns noch keine Gedanken. Denn nun folgen für mich erst einmal die Katakana, die lediglich so etwas wie die kantigen Stiefgeschwister der Hiragana sind. Das wichtigste Wort kann ich auch bereits: マルセル. Das ist nämlich mein Name. Marcel. Und viel mehr muss man quasi auch gar nicht wissen, um im Land der aufgehenden Sonne erfolgreich zu sein.
Freitag, der 10. März 2023
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