Ungefickt: Bist du noch Jungfrau?
Marcel Winatschek
Der Schulhof war die Kampfarena der Neuzeit. Wer nicht hart war, wurde gnadenlos ausgelacht, wer sich nicht cool stellte, galt als Schwuchtel und wer verdammt noch mal nichts mit den Worten Titten, Ficken und Schwanzlutschen anfangen konnte, durfte die nächsten zehn Schuljahre auch mit einem rosa Pfeil durch den Kopf im Klassenzimmer sitzen. Kinder waren hart, wir waren härter. Natürlich kuschelten wir uns zu Hause in unsere Power-Rangers-Bettwäsche, setzten uns Sams…

UngeficktBist du noch Jungfrau?
Der Schulhof war die Kampfarena der Neuzeit. Wer nicht hart war, wurde gnadenlos ausgelacht, wer sich nicht cool stellte, galt als Schwuchtel und wer verdammt noch mal nichts mit den Worten Titten, Ficken und Schwanzlutschen anfangen konnte, durfte die nächsten zehn Schuljahre auch mit einem rosa Pfeil durch den Kopf im Klassenzimmer sitzen.
Kinder waren hart, wir waren härter. Natürlich kuschelten wir uns zu Hause in unsere Power-Rangers-Bettwäsche, setzten uns Samstag Abends artig in die Badewanne und waren ganz nass vor Freude, wenn wir ein neues Pokémon fingen, aber draußen, in der Wildnis, da waren wir kleine, abgrundtief coole Kampfmaschinen. Mit riesigen Genitalien.
Die Frage nach dem Ob stellte sich kurz nach Anpfiff der Pubertät doch gar nicht mehr. Es ging nur noch um wie oft, auf welche Art und Weise und mit wem. Thomas poppte die blonde Jessica mit den Segelohren auf dem Spielplatz, Konstanze hatte die Eier von Fabian im Mund und Daniel und ich hatten am besten gleich die halbe Klasse einmal durch. Damit für eine Zeit lang Ruhe war. In der Fünften.
Gefälschte Ficklisten, auswendig gelernte Fachausdrücke, genaue Kenntnisse der weiblichen Anatomie, oder das, was wir dafür hielten, wir waren gewappnet für den Straßenkrieg. Dass wir nackte Brüste nur aus zerrissenen und seltsam vergilbten Pornomagazinen vom Hinterhof her kannten und schon beim bloßen Gedanken an behaarte Muschis nach oben in unser Zimmer liefen und die Turtles-Kissen bestiegen, verrieten wir natürlich niemandem. Mit zwölf hatten wir offiziell schon alles penetriert, was der liebe Gott an Körperöffnungen bereit stellte und nur ein richterlicher Eid hätte uns die Wahrheit entlocken können.
Meine Freunde hätten mich wohl gelyncht, wenn ich ihnen damals erzählt hätte, dass ich erst zwei Tage nach meinem neunzehnten Geburtstag die lästigen Ketten der Jungfräulichkeit endgültig sprengen konnte. Jana war zu verkrampft, bei Steffi platzte meine Tante ins Zimmer, bevor sie die Beine breit machen konnte, und Olga war mir irgendwie suspekt. Mit der Dorfschlampe klappte es endlich. Kein großes Ding, ich holte schnell wieder auf.
Was mir früher schlaflose Nächte bereitete, klingt im Nachhinein eher wie ein Witz. Natürlich schlief Thomas nicht mit dem Hobbydumbo Jessica. Die scheuerte ihm eine, als er ihr auf dem Klettergerüst an den Arsch fassen wollte. Konstanze wusste schon mit sieben, dass sie lesbisch war und hatte noch nie Eier im Mund – außer zum Frühstück. Und Daniel, mich und die halbe Klasse müssen wir erst gar nicht mehr erwähnen – bis zum Abschlussball lief da weniger als nichts.
Aber warum lügen wir bei Sex, bis sich die Balken biegen? Wie wichtig ist es wirklich für uns, in den gegenüber liegenden Geschlechtsteilen zu wühlen und hat Ficken nicht auch gleich immer etwas mit Macht, Sieg und Konkurrenzdenken zu tun? Dass wir den Zähler wieder auf Null setzen können? Und Hand aufs Herz: Wann und wo habt ihr den erleichternden Entjungferungssex endlich hinter euch gehabt und war euch danach die ganze Aufregung darüber nicht auch irgendwie selbst peinlich?
Mittwoch, der 11. Oktober 2017
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